Impuls zum Sonntag Rogate

Pfarrer Dr. Lars Heinenmann

St. Katharinengemeinde Frankfurt am Main

Joh. Seb. Bach, 1685 – 1750
Choralbearbeitung „Vater unser im Himmelreich“ BWV 737
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen
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Zwischen-Zeit und Stille

Liebe Besucher*innen der Homepage:

Endlich wieder Gottesdienste in der Katharinenkirche! Endlich wieder bekannte Gesichter sehen, sich kurz austauschen, gemeinsam feiern, Gott loben mit Herz und Mund. Ein Stück Normalität in ungewissen Zeiten – endlich!

Und gleichzeitig ist es nicht so, wie es war. Jeder und jede muss für sich sitzen, Abstand auch in der Kirche. Und vor allem: Kein Gemeindegesang. Das Herz mag jubeln. Aber der Mund bleibt stumm. Das ist nicht nur ungewohnt. Es tut richtiggehend weh.

Anstelle der Gemeinde singt ein vierköpfiger Mini-Chor, die Schola. Gott sei Dank! – denn wie schrecklich wäre ein Gottesdienst ganz ohne Gesang. Die Schola singt für uns, für die Gemeinde. Und das im doppelten Sinne: Sie singt für uns, sodass wir die Lieder hören dürfen. Lieder, oft so vertraut, geprägt durch Lebenssituationen – Lieder, die geistliche Heimat sind. Und sie singt für uns vor Gott. Vertritt uns und unser Singen vor Gott. Bringt unser innerliches Singen und Summen stellvertretend vor ihn.

Das ist schön. Und doch: fehlt etwas. Es ist noch immer Zwischen-Zeit. Eine Zwischen-Zeit, ungewohnt und immer wieder schmerzhaft.

In diese Situation hinein der Predigttext für diesen Sonntag, Rogate. Er erzählt von dem christlichen Gebet schlechthin, dem Vater unser. Wieder: geistliche Heimat. Jeder und jede von uns verbindet etwas mit diesem Gebet, dessen Worte auf Jesus selbst zurückgehen. Hier bündelt sich wie in einer Summe, was wir glauben: „Vater unser im Himmel. Geheiligt werde Dein Name …“

Und noch etwas findet sich im Predigttext. Jesus spricht vom Beten. Wie das sein soll – und wie nicht: „Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht beten wie die Heuchler, die beten, um sich vor den Leuten zu zeigen. Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.“ (Matthäus-Evangelium, Kapitel 6, Verse 5-8, gekürzt)

Das verblüfft mich erst einmal. Es erinnert mich daran, wie viel Stille im Christentum ist. Wie sehr auch die Ruhe zu dieser Religion und unserem Glauben dazugehört. Im Kämmerlein, für sich selbst – so sollen wir beten. Das, was ich in den letzten Wochen immer wieder auch als Defizit erlebt habe – dass kein gemeinsames Gebet, kein gemeinsames Gotteslob möglich ist, dass allein das stille Kämmerlein zuhause bleibt –, das versteht Jesus als bestmögliche Situation zum Beten. Der christliche Glaube ist in seinem Kern nichts, was öffentlich vorgezeigt würde. Er ist keine Demonstration nach außen. Sondern eine Übung nach innen. Ein Hören in die Stille hinein.

Und tatsächlich: Wie oft habe ich schon erlebt, dass sich im Gebet gewissermaßen die Blickrichtung umkehrt. Ich komme mit meinen Sorgen und Nöten, mit dem, was mich beschäftigt. Komme aus einem Alltag, der laut ist. Und indem ich mich sammle vor Gott, indem ich still werde – kommt da etwas Anderes. Gewinnt etwas Anderes Raum in mir. Sortiert mich neu, richtet mich neu aus. Die eigenen Bedürfnisse treten zurück. „Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.“ Ich sehe mich und die Welt noch einmal neu und anders – im Lichte Gottes.

Die Stille ist auch eine Chance. Ja, der Gottesdienst ist ungewohnt, es fehlt unendlich, selbst zu singen. Aber indem ich die Liturgie, die Lieder innerlich mitvollziehe – mit dem Herzen singe, innerlich mitsumme und mitschwinge –, gewinnt ein anderer Takt in mir Raum. Der Gottesdienst ist jetzt in dieser Zwischen-Zeit meditativer. Ruhiger. Stiller. Und in der Stille findet mich – Gott.

Bleiben Sie behütet. Amen

Ihr Pfarrer Dr. Lars Heinemann

Georg Böhm, 1661 – 1731
Choralbearbeitung „Vater unser im Himmelreich
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen