Impuls zum 14. Sonntag nach Trinitatis

Dr. Olaf Lewerenz

Dr. Olaf Lewerenz

Stadtkirchenpfarrer an
St. Katharinen

Johann Sebastian Bach, 1685–1750
„Liebster Jesu, wir sind hier“
Choralbearbeitung BWV 633 und 634
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen

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Keine hohen Mauern für kleine Leute errichten.

Zachäus war als Oberzöllner nicht gerade beliebt bei den Bewohnern in Jericho. Er nahm nicht nur Schwarzgeld, sondern vor allem überhöhte Zölle. Ein Franchisesystem,  von dem die römischen Besatzer, die Oberzöllner und auch die einfachen Zöllner gut profitierten. Heuschrecke oder Blutsauger wären wohl die heutigen Worte für ihn. Doch jetzt wollte Zachäus Jesus sehen. Schwierig für diesen reichen, aber kleinen und unbeliebten Mann, denn keiner würde ihn durchlassen.

Darum war er rechtzeitig auf einen Baum am Wege geklettert. Und dann das ungeheuerliche: Jesus blieb stehen und sagte zu Zachäus, er solle von Baum heruntersteigen, er müsse bei ihm zu Hause zu Abend essen.

Da kochte die Seele des Volkes. „Bei dem? Weiß Jesus denn gar nicht, was das für einer ist?“ Doch! Und genau mit diesem Zachäus will Jesus seinen Abend verbringen. Und nicht, weil dort der Wein sicher besser ist als anderswo.

Hätte Jesus unter dem Baum gestanden, hochgeblickt, mit dem Finger auf Zachäus gezeigt und gesagt: „Seht, das ist ein Oberzöllner, solche wie der beutet uns aus“ und ausgespuckt, die anderen Anhänger von Jesus hätten vielleicht applaudiert. Aber Zachäus wäre versteinert.

Die Überraschung, dass Jesus ihn anspricht, die dürfte für Zachäus groß gewesen sein. Wahrscheinlich hatte er damit nicht gerechnet.

Jesus bleibt sich treu. Er geht vorbehaltlos auf Menschen zu, egal ob Bettler, Kranker, Dirne, Reicher, Ausländerin. Das ist für die Anhänger*innen Jesu nur schwer zu verkraften. Solange er sich den Ausgestoßenen zuwandte, war es ihnen vielleicht noch recht. Aber als er sich einem römischen Hauptmann zuwandte, dem Repräsentant der verhassten Besetzer oder hier einem der Geldeintreiber der Römer – das ging zu weit, das geht zu weit. Und damit zeigen die Anhänger*innen Jesu, dass ihre Moral auch enge Grenzen hat. Und es zeigt, dass Jesus sich darum nicht schert. „Bei einem Sünder ist er eingekehrt.“

Bei Zachäus gab Jesus den Anstoß für Veränderung. Aber nicht so, wie seine Anhänger*innen sich das vorstellten: „Also Zachäus, hör mal zu: du hast dich ungerecht bereichert. Gib gefälligst allen ihr zu viel gezahltes Geld zurück und such dir einen ordentlichen Beruf, dann werden wir dich auch wieder in unserer Gemeinschaft dulden.“  Diese moralischen Schranken setzte Jesus nicht. Damit gibt er Zachäus die Chance darüber nachzudenken, was er tun will. Und gibt ihm die Chance sich zu ändern, weiterzuentwickeln. Denn je höher in vornherein moralische Schranken errichtet werden, um so schwieriger kann der kleine Zachäus da rüber hüpfen.

Johann Sebastian Bach, 1685–1750
Präludium und Fuge A-Dur BWV 536
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen