Gedanken über Luther in Frankfurt 1521

„Christus lebt! und wir wollen nach Worms kommen allen Pforten der Hölle und Fürsten der Luft zum Trutz.“
(Luther an Spalatin, Frankfurt am Main, den 14. April 1521)

In diesem Jahr haben wir erneut ein bedeutendes Jubiläum der Reformationsgeschichte zu feiern. Im April 1521, vor 500 Jahren, reiste Martin Luther nach Worms, um sich auf dem Reichstag vor dem Kaiser für seine Lehren und Schriften zu verantworten. Mit der öffentlichen Verbrennung der päpstlichen Bulle, die ihm den Kirchenbann androhte, hatte Luther im Dezember 1520 sichtbar mit der Kirche gebrochen. Der Kirchenbann zog nach damaligem Recht automatisch auch die Reichsacht nach sich, also den Verlust aller Freiheits- und Rechtsansprüche; allerdings hatte Kaiser Karl V. bei seiner Wahl in Frankfurt im Juni 1519 jedermann, dem die Reichsacht drohte, rechtliches Gehör zugesichert.

Luther mußte also nach Worms reisen. Das war nicht nur wegen der damaligen Straßenverhältnisse gefährlich: 100 Jahre zuvor hatte das Konzil von Konstanz den böhmischen Reformator Jan Hus verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrennen lassen, obwohl ihm vorher freies Geleit zugesichert worden war. Entsprechend aufgeregt mag Luther am 14. April 1521, von Friedberg kommend, am späten Vormittag durch das Friedberger Tor in Frankfurt eingezogen sein. Es war der Sonntag Misericordias Domini, an dem in den Kirchen das Evangelium vom Guten Hirten gelesen wurde.

Der Wittenberger Goldschmied Christian Döring hatte Luther seinen überdachten Reisewagen zur Verfügung gestellt, die Universität ihrem prominenten Professor 20 Gulden Zehrgeld mitgegeben. Begleitet wurde Luther von seinem Ordensbruder Johann Petzensteiner, seinem Kollegen Professor Nikolaus von Amsdorf, den Studenten Petrus Suawe und Thomas Blarer und, seit Erfurt, dem Juristen Justus Jonas. Der kaiserliche Herold Kaspar Sturm begleitete den Zug und schützte die Reisenden mit einem Trupp Bewaffneter, denn der Kaiser hatte ihnen freies Geleit gewährt.

Über die Große Friedberger Gasse und die Zeil fuhr Luthers Reisegruppe, vorbei an der kleinen gotischen Doppelkirche der Heiligen Katharina und Barbara, und bog dann durch die Katharinenpforte in die Altstadt ein. Hier in der Buchgasse waren Luthers Schriften seit der Frühjahrsmesse 1520 gedruckt und vielfach verbreitet worden. Die drei reformatorischen Hauptschriften, „An den christlichen Adel deutscher Nation“, „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ und „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, waren in der Frankfurter Bürgerschaft auf großes Interesse gestoßen.

Die Reisegruppe kehrte im Gasthof zum Strauß in der Buchgasse ein. Über den ganzen Nachmittag und Abend gaben sich Besucher die Klinke in die Hand, die dem prominenten Augustinermönch ihre Aufwartung machen wollten. Als erster kam der junge Humanist Wilhelm Nesen. Er war seit einem Jahr Rektor der Lateinschule im Haus Zum Goldstein, direkt gegenüber dem Gasthof. Später gesellten sich die Patrizier Hamman von Holzhausen, der Pfleger des Katharinenklosters, und Arnold von Glauburg, Assessor am Reichskammergericht zu Speyer und Freund Ulrich von Huttens, hinzu. Sie diskutierten mit Luther bis zum späten Abend. Danach schrieb Luther noch einen Brief an seinen Freund Spalatin. Ihm ist das diesem Artikel vorangestellte Zitat entnommen.

Am nächsten Morgen inspizierte Luther auf Einladung Nesens die nebenan gelegene Lateinschule. Einer Überlieferung nach segnete er dabei zwei Schüler, die ihm vorgestellt wurden. Sicher ist, daß Justinian von Holzhausen und Johann von Glauburg 1524 bis 1526 in Wittenberg bei Luther studierten und später zu Wegbereitern der Reformation in Frankfurt wurden.

Am späten Vormittag reiste Luther weiter nach Oppenheim, der letzten Etappe vor Worms. Währenddessen predigte der Dechant des Liebfrauenstiftes, Johannes Cochläus, wütend gegen den Orpheus in einer Mönchskutte und seine Anhänger. Einen Tag später reiste er Luther nach Worms nach. Am 24. April, vier Tage nach Luthers Verteidigungsrede vor dem Kaiser, forderte Cochläus ihn dort zu einem öffentlichen theologischen Zweikampf heraus. Der Frankfurter Beobachter des Reichstags, Philipp Fürstenberger, berichtete, wie Luther die Herausforderung zurückwies. Von da ab stand Cochläus in erbitterter persönlicher Feindschaft zu Luther, auch über dessen Tod hinweg. Er wurde theologischer Berater des Mainzer Erzbischofs, Kardinal Albrecht von Brandenburg. Cochläus theologischer Kommentar zu Luthers Schriften von 1517 bis 1546 prägte jahrhundertelang das katholische Bild des Reformators.

Luther kehrte auf der Rückreise am 27. April noch einmal im Gasthof zum Strauß ein. „Daselbst ihm viel von etlichen seiner Gönner Ehre geschehn“, verzeichnete der Kanoniker Wolfgang Königstein in seinem Tagebuch. Die Nachricht von Luthers Auftritt vor dem Reichstag hatte sich in der Stadt schon verbreitet. Auch Cochläus kehrte aus Worms zurück. Königstein schrieb dazu lapidar: „Was er fruchtbares gehandelt hat, lasse ich beruhen. Wie man sagt, ist ihm viel Schimpf geschehen […] ist unser Dechan wiedergekommen und nicht viel besonders zu Worms geschafft; was man von ihm gesagt, laß ich hier beruhen.“

Am nächsten Morgen, dem Sonntag Cantate, schrieb Luther nach einem weiteren Besuch in der Lateinschule an Lucas Cranach in Wittenberg selbstbewußt über seine Erlebnisse in Worms: „Ich meinte, Kaiserliche Majestät sollte einen Doktor oder 50 haben versammelt und den Mönch redlich überwunden: aber ist nicht mehr hie gehandelt denn so viel: Sind die Bücher dein? Ja. Willst du sie widerrufen oder nicht? Nein. So heb dich!“ Luther deutet auch an, wie es nun mit ihm weitergehen soll: „Ich lasse mich eintun und verbergen, weiß selbst noch nicht, wo […] Es muß eine kleine Zeit geschwiegen und gelitten sein: Ein wenig sehet ihr mich nicht; und aber ein wenig, so sehet ihr mich, spricht Christus. Ich hoffe, es soll itzt auch so gehen […] Ade, hiermit allesamt Gott befohlen, der behüt euer aller Verstand und Glauben in Christo vor den römischen Wolfen und Drachen mit ihrem Anhang! Amen.“

Um 10 Uhr brach Luther mit seinem Geleit nach Friedberg auf. Dort entließ er seinen Herold Kaspar Sturm und gab ihm Dankschreiben an den Kaiser, die Kurfürsten, Fürsten und Stände des Reiches mit. Auf der Weiterreise kam es am 4. Mai bei Liebenstein an der Werra zu einem inszenierten Überfall von Bewaffneten, die Luther im Auftrag des sächsischen Kurfürsten auf die Wartburg brachten, wo er bis zum März 1522 im Versteck blieb und in dieser Zeit das Neue Testament ins Deutsche übersetzte.

Am 9. März 1522, dem Sonntag Invokavit, hielt Luther in Wittenberg die erste seiner acht „Invokativpredigten“. Am gleichen Tag predigte auch Hartmann Ibach in der Katharinenkirche. Es war die erste lutherische Predigt in Frankfurt. Der Franziskanermönch hielt sich auf Einladung von Wilhelm Nesen und Hamman von Holzhausen in der Stadt auf, die beide Luther und seine Lehren im Jahr zuvor bei seinem Besuch in Frankfurt kennengelernt hatten. Ihre Namen sind untrennbar mit der Einführung der Reformation in Frankfurt verbunden. Doch hierüber wird ein andermal zu berichten sein.

Wolfram Schmidt

(Der Artikel gründet sich im Wesentlichen auf Hermann Dechent, Luthers Aufenthalt zu Frankfurt am Main vor und nach dem Reichstage zu Worms im Jahre 1521. (Erstmals gedruckt im Frankfurter Kirchenkalender 1893, S. 16ff.) Einzelne Zitate stammen aus Rudolf Jung: Frankfurter Chroniken und annalistische Aufzeichnungen der Reformationszeit.)

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