Impuls zu Christi Himmelfahrt

Dr. Olaf Lewerenz

Dr. Olaf Lewerenz

Stadtkirchenpfarrer an
St. Katharinen

Dieterich Buxtehude, 1637–1707
Präludium C-Dur BuxWV 137
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen

.

Wenn ich an Rio de Janeiro denke, dann erscheint vor meinem geistigen Auge die Christusstatue auf dem Corcovado. Und nicht nur in diesen reisearmen Zeiten stellt sich bei mir eine Sehnsucht ein: Dort zu stehen, den Blick hoch auf das Monument zu richten oder von dort auf die Stadt zu schauen.

Vor gut neun Jahren hatte ich das Glück und war in Rio de Janeiro und natürlich ging mein erster Blick, nachdem wir aus dem Flugzeug gestiegen waren, zum Horizont. Und tatsächlich: 700 m über dem Meer thronte die Christusstatue über der Stadt vor der untergehenden Sonne.

Am nächsten Tag sind wir auf den Corcovado und genossen den herrlichen Ausblick von der Christusstatue: der Strand von Ipanema liegt einem zu Füßen, links die Copacabana, dahinter der Zuckerhut. Und auf der anderen Seite ein Blick auf die Favelas und einige wohlhabende Stadtviertel. Und über allem thront Christus mit weit geöffneten Armen, um uns, die Stadt und das Meer zu segnen.

Doch nun ist Christus in den Himmel gefahren, emporgehoben zu Gott. Mit einem Mal ist dort auf dem Corcovado nicht mehr ein segnender Christus zu sehen, sondern eine kahle Bergspitze. Und wir? Sind mit einem Mal ohne die sichtbare Präsenz von Christus zurückgelassen in Rio de Janeiro, dieser Stadt voll Ungerechtigkeit, Gewalt und Armut. Und auch hier in der alten Welt: Er ist weg und wir sind wieder allein, allein. Und nun?

Im Epheserbrief im 1. Kapitel steht: 20bGott hat Christus von den Toten auferweckt und an seine rechte Seite im Himmel gesetzt.21Dort thront er hoch über Mächten und Gewalten, Kräften und Herrschaftsbereichen.

Christus ist aufgefahren in den Himmel, er sitzt zur Rechten Gottes, so sprechen wir es in jedem Gottesdienst im Glaubensbekenntnis. Natürlich ist er nicht weg, aber ein sichtbarer Christus, der uns segnet, der wäre mir noch lieber. Gerade in dieser unsicheren Zeit. Wobei – welche Zeit jemals war nicht unsicher?

Momentan starren wir auf die Zahlen, sind sie gut, sind sie schlecht? Die Inzidenzzahlen, die Auslastung der Intensivbetten, die Mutationen, die Impfzahlen. Wo ist Gott?

Wir können nicht direkt unter die ausgebreiteten Arme von Christus stellen, um uns für Kraft in der Pandemie segnen zu lassen. Aber dank des Verstandes, den Gott uns gegeben hat, können wir Krankheiten etwas entgegensetzen. Die Welt mit unserer Wissenschaft beherrschen, das können wir nicht. Da überschätzen wir unsere Intelligenz und unsere Macht.

Andere sind seit dem letzten Jahr auf der Suche nach den geheimen Mächten, die hinter der Pandemie stecken oder die mit der Pandemie die Weltherrschaft erlangen wollen. Sie wittern Verschwörungsmythen, Geheimbünde.

Solange Jesus auf Erden war, war es noch einfacher, ihn als Gottes Sohn auf Erden um Hilfe zu bitten. Jetzt ist er unserem Blick entzogen. Sein Platz bei uns ist verwaist. Nur Abbilder und Erzählungen sind geblieben.

Wenn wir Gott nicht sehen und spüren – und momentan auch nicht im Abendmahl schmecken- dann suchen wir nach Mächten und Gewalten, die uns näher sind, nach Sachen, die an die Stelle Gottes rücken können. Menschen, Engel, geheime Codes.

Doch der aufgefahrene Christus, er bleibt unser Haupt, er sitzt am Kopf des Tisches, zu dessen Mahl wir alle eingeladen sind. Und das Abendmahl, die Eucharistie, bleibt die Verbindung zwischen uns hier auf Erden und Christus im Himmel. Deshalb ist es wichtig, dass wir so bald als möglich wieder gemeinsam Abendmahl feiern. Denn dann können wir wieder die Fülle Gottes spüren, teilhaben an Gottes Güte und Segen – wie es durch den Christus auf dem Corcovado in Rio sichtbar wird.

Einen gesegneten Himmelfahrtstag, Ihr Pf. Dr. Olaf Lewerenz

Olivier Messiaen, 1908–1991
„Heitere Hallelujas einer Seele, die sich nach dem Himmel sehnt“
aus „Die Himmelfahrt“
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen