Impuls zum 2. Sonntag nach Epiphanias

Dr. Olaf Lewerenz
Dr. Olaf Lewerenz, Stadtkirchenpfarrer an St. Katharinen

Dieterich Buxtehude, 1637–1707 – Präludium C-Dur BWV 137
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen

Das Kreuz mit der Welt

Paulus war kein brillanter Redner, da waren andere Missionare in Korinth besser. Paulus stotterte wohl. Ob er auch so etwas wie Epilepsie hatte, ist umstritten. Jedenfalls war er öfter krank. Eine strahlende Gestalt war er nicht.

Paulus hatte es schwer in Korinth. Die wollten lichte Götterboten. Über Paulus lächelten viele nur. Sie beriefen sich auf Apollos, der war ein guter Redner. Oder auf Kephas, Petrus, der hatte klare Worte. Die Präsentation war wohl vielen wichtiger als die Botschaft.

Paulus, der nicht den erwünschten Erfolg in Korinth hat, schreibt aus einer Verteidigungshaltung heraus einen Text, in dem er die Grundzüge seiner Theologie entfaltet: die Botschaft vom Kreuz, die alle geltenden Werte umwertet. Das Wort vom Kreuz, das alle Weisheit der Welt erblassen lässt. Gott, der in der Schwachheit seine Kraft und Herrlichkeit zeigt.

Ich verkünde euch Jesus Christus, der am Kreuz gestorben ist.3Als schwacher Mensch trat ich vor euch und zitterte innerlich vor Angst.4Meine Rede und meine Verkündigung sollten euch nicht durch ihre Weisheit überreden.(1. Kor. 2)

Einer verfolgten kleinen Gruppe an Christen, die untereinander zerstritten waren, präsentiert Paulus seine Schwachheit. Die eigene Schwachheit und die seiner Botschaft gehören zusammen. Und auf dieser Schwachheit, dieser Abwertung von Weisheit und weltlicher Macht, gründet der christliche Glaube, der dann die westliche Welt eroberte.

In Korinth knirschte es gewaltig zwischen Paulus und den anderen Missionaren. Spätestens, als Konstantin das Christentum zur Staatsreligion erhob, knirschte es wieder gewaltig. Macht oder Schwachheit; Siegeskranz oder Kreuz – was gilt? Die Verfolgten wurden zu Verfolgern; eben noch unterdrückt wurden die Christen Unterdrücker – gegen Juden und Anhängern der römischen Götter, sogenannten Heiden.

Ein Beispiel davon haben wir hier in der St. Katharinenkirche: Sie ist benannt nach der heiligen Katharina von Alexandria, einer Frau voller Schönheit und Weisheit. Nach der Legende lebte sie Anfang des 4. Jahrhunderts im heidnischen Alexandria, aber ob sie überhaupt existierte, ist sehr umstritten. In einer Disputation mit 50 heidnischen Philosophen ging sie als Siegerin hervor. Daraufhin ließ Kaiser Maxentius sie töten. Soweit, so traurig. Doch dann gibt es die Hypothese, dass hier Täter und Opfer vertauscht wurden: Katharina war eigentlich Hypathia, eine heidnische Philosophin, die Mitte des 4. Jahrhunderts in Alexandria lehrte und von einem Mob aus Mönchen und christlichen Laienbrüdern ermordet wurde.

Wie passt das zusammen: Lynchmord und Christentum? Die Botschaft vom Kreuz und dann das christliche Abendland mit Papst und Kaiser. Macht und Kreuz. Macht im Namen des Kreuzes. Ausläufer dieser Tradition finden sich immer noch, wenn Kirchen und ihre Vertreter ihre Macht ausnutzen, um Schwache zu missbrauchen oder unliebsame Mitmenschen auszugrenzen.

Wie gehen wir heute mit der Spannung zwischen dem Wort vom Kreuz und den Maßstäben unserer westlichen Welt um?

Schönheit, Weisheit, Bildung sind Werte und Eigenschaften, die uns weiter gebracht haben und an denen wir uns erfreuen sollten. Aber sie sind eben nicht alles. Vor allem erwächst Weisheit nicht durch wohlgeformte und mit praller Überzeugung vorgetragene Worte. Das Wort vom Kreuz ist kein Gegenteil von Weisheit, Gewandtheit, Schönheit, aber es begrenzt sie auf das nötige Maß. Es kommt auf den Blick an. Um Weisheit des Verstandes, vor allem aber um Weisheit des Herzens geht es, die sich einsetzt für die, die keine Stimme haben, für die, die leise tönen, für die geschundene Natur und Kreatur.

Um Gottes Weisheit zu leben, brauche ich nicht perfekt zu sein, aber sensibel für mein Gegenüber und willens mich der Tiefe der Lebenserfahrung auszusetzen und daraus zu handeln.

Ihr Pfr. Dr. Olaf Lewerenz

Johann Sebastian Bach, 1685–1750 – „In dir ist Freude“
Choralvorspiel BWV 615
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen