Warum die Katharinenkirche in diesem Winter kalt bleibt

Nach zwei Corona-Wintern sind wir Kummer gewohnt. Trotzdem ist es eine niederschmetternde Nachricht: Im Winter 2022/23 werden die Frankfurter Kirchen nicht geheizt; nur der Frostschutz ist zu beachten, damit keine Schäden an Bauwerken und Einrichtungen entstehen können. So haben es die Frankfurter evangelischen Kirchengemeinden am 14. September in der Regionalversammlung mit großer Mehrheit beschlossen. Wir werden uns also in der kalten Jahreszeit warm anziehen müssen, wenn wir an Gottesdiensten, Konzerten und Veranstaltungen in der Katharinenkirche teilnehmen wollen.

Wer die Nachrichten seit Beginn der russischen Invasion der Ukraine aufmerksam verfolgt hat, konnte von dieser Entwicklung nicht überrascht werden. Unsere Abhängigkeit von russischem Erdgas macht uns erpressbar. Schon im Juni hat die Bundesregierung die „Alarmstufe“ des Notfallplans für die Gasversorgung ausgerufen; in den Zeitungen kann man die Füllstände der Gasspeicher tagesaktuell verfolgen. Gleichzeitig steigen die Energiepreise seit 2021 auf immer neue, vorher unvorstellbare Höhen.

Selbst wenn im Winter genug Gas geliefert wird, kann es sich bei den derzeitigen Preisen nicht mehr jeder leisten. Bäckereien, Brauereien und Glasschmelzen kündigen an, im Winter schließen zu müssen. Theater, Gaststätten und Altenheime geraten in wirtschaftliche Not. Sollen wir in dieser Situation an unserer Gewohnheit festhalten, die Kirche in der kalten Jahreszeit auf kuscheligen Temperaturen zu halten? Immerhin erhielt die Katharinenkirche als eine der ersten Kirchen Frankfurts schon 1857 eine damals hochmoderne Warmluftheizung. An der Technik hat sich seitdem wenig geändert, auch wenn wir heute nicht mehr mit Holz oder Kohle heizen. Eine Luftheizung braucht vergleichsweise viel Energie. Außerdem läßt sie sich nur schwer regeln. Um Schäden an der empfindlichen Orgel zu vermeiden, darf die Temperatur nur sehr langsam verändert werden.

Wenn wir weitermachten wie bisher, würden sich die Heizkosten unserer Gemeinde im nächsten Winter vervielfachen. Würden wir die Katharinenkirche heizen wie in den letzten Jahren gewohnt, würde das in einem Winter mehr Geld verschlingen, als wir für die Kirchenmusik oder die Obdachlosenarbeit im ganzen Jahr ausgeben können. Wenn man es so betrachtet, fällt die Entscheidung plötzlich ganz leicht. Sollen wir unsere Bequemlichkeit wichtiger nehmen als unseren Verkündigungsauftrag?

Mir fällt dazu ein, was Jesus uns in der Bergpredigt über das Fasten lehrt: Wir sollen dabei nicht sauer dreinsehen wie die Heuchler, die zeitweilig auf Luxusgewohnheiten verzichten; denn Fasten ist kein Egotrip, sondern eine ernste Angelegenheit. Als Jesus in der Wüste fastete, vertiefte er damit seine Beziehung zu Gott. Ihm wurde klar, was wirklich wichtig und gut für ihn ist. Erst als er seine Schwäche spürte, wurde er stark genug, dem Versucher zu widerstehen.

Vielleicht sind wir in unserer Gesellschaft an einem solchen Punkt angelangt: Solange wir unsere Kirchen immer weiter heizen wie bisher, tragen wir weiter zum Klimawandel bei. Wir helfen weiterhin, einen mörderischen Krieg zu finanzieren. Wir verbrauchen weiterhin Ressourcen, die künftigen Generationen nicht mehr zur Verfügung stehen werden.

Auf einmal finde ich die Aussicht auf eine kalte Kirche gar nicht mehr niederschmetternd, sondern ermutigend. Wenn wir in uns in diesem Winter warm angezogen zum Gottesdienst oder zur Bachvesper versammeln, können vielleicht auch wir klarer erkennen was wirklich wichtig und gut für uns ist. Künftige Generationen werden hoffentlich berichten können, daß im Winter 2022/23 die Weichen gestellt wurden für einen gerechten und nachhaltigen Umgang mit Energie und kostbaren Ressourcen.

Dr. Wolfram Schmidt