Impuls zum 13. Sonntag nach Trinitatis

Dr. Olaf Lewerenz

Dr. Olaf Lewerenz

Stadtkirchenpfarrer an
St. Katharinen

Johann Sebastian Bach, 1685 – 1750
Air aus der Suite Nr. 4 D-Dur BWV 1068
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen
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Leben jenseits von Eden

Anbieter von Fernreisen locken mit paradiesischen Palmenstränden, Supermärkte nennen sich Frischeparadies, Anbieter von Bettwäsche wünschen uns paradiesische Träume.

Historisch stammt die Vorstellung vom Paradies aus dem Iran. Dort ist es ein von einer Mauer umgrenzter Garten mit Springbrunnen oder Bächlein in der Mitte, in Europa vielleicht am ehesten mit einem exakt gestalteten Klostergarten zu vergleichen. Das Paradies: ein der feindlichen Natur abgetrotztes Stück sinnlichen Glücks.

In der Paradieserzählung aus dem 1. Buch Mose, Kap. 2 heißt es: 15Gott der Herr nahm den Menschen und brachte ihn in den Garten Eden. Er sollte ihn bearbeiten und bewahren.16Und Gott der Herr gebot dem Menschen:»Von jedem Baum im Garten darfst du essen.17Aber vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen. Sobald du davon isst, wirst du sterben.«

Die paradiesischen Zustände halten nicht lange an. Nachdem Adam und Eva von der Frucht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse gegessen haben, verlieren sie ihre kindliche Unbekümmertheit und Gott vertreibt sie aus dem Paradies. Und so leben wir bis heute außerhalb des Gartens Eden und sehnen uns nach Palmenstränden oder Blütenmeeren.

Das Essen der Frucht vom Baum der Erkenntnis machte uns zum Menschen, nämlich zu einem Wesen, das Gut und Böse unterscheiden kann – im Gegensatz zu einem Tier. Wir Menschen sind in der Lage, bewusst zu handeln. Im Paradies waren wir wie die Kleinkinder, vielleicht glücklich, aber unwissend.

Ich bin froh, dass wir die Erkenntnis von Gut und Böse besitzen, dass wir ein Gehirn und einen moralischen Kompass haben, der uns leiten kann. Aber damit geht auch Verantwortung einher: wer zwischen Gut und Böse unterscheiden kann, der muss auch Rechenschaft über sein Tun ablegen.

Unser Lebensstil ist auf planmäßige Unterjochung und Ausnutzung von Natur hin angelegt. Wir wissen das, und doch: unser Flächenverbrauch, unser Lebensstandard wächst unaufhörlich. Ende Juli hatte die Menschheit die Ressourcen verbraucht, die die Erde in einem Jahr reproduzieren kann. Seit 29. Juli leben wir für dieses Jahr auf Pump zukünftiger Generationen. Hätten alle den Lebensstandard Deutschland, dann würde die Menschheit schon seit Ende Mai auf Kosten ihrer Zukunft leben.

Wir wissen, dass wir auf Kosten der Erde und zukünftiger Generationen leben. Wir wissen das, wir haben die Erkenntnis von Gut und Böse: wir haben die Frucht vom Baum der Erkenntnis gegessen, aber keine*r von uns lebt so, dass wir den Planeten bewahren.

Doch der Auftrag Gottes gilt weiter: diese Stadt, dieses Land  sollen wir bebauen und bewahren. Und dafür wird es höchste Zeit. Meine Generation hat sich zwar schon lange zumindest verbal für den Umweltschutz eingesetzt, gelebt haben wir aber den Verbrauch von immer mehr Ressourcen. Wir haben nicht nur einen Appel zu Hause, wir haben die Frucht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse gegessen. Wir könnten… Wir könnten uns dafür stark machen, dass unsere Stadt zu einem friedlichen und bunten Ort für alle wird.

Wie im Paradiesgarten: jedes Stück Grün, jede Stadt bleibt ein Ort, den wir der Natur abgerungen haben. Und den es zu hegen zu pflegen gilt, zu bebauen und zu bewahren. Und das ist heute dringender und nötiger als je zuvor, damit auch kommende Generationen noch paradiesisch jenseits von Eden leben können.

César Franck, 1822–1890
Cantabile H-Dur
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen