Johann Sebastian Bach, 1685-1750
„Es ist das Heil uns kommen her“ Choralvorspiel BWV 638
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen
Bedingungsloses Grundeinkommen im Weinberg?
Frühmorgens stehen sie in die Hanauer Landstraße in der Nähe der EZB: Tagelöhner. Wenn sie Glück haben, bekommen sie 6 – 7 € die Stunde für Knochenarbeit. Zur Zeit Jesu bekamen Tagelöhner 1 Silberstück am Tag.
Im Matthäusevangelium Kapitel 20 erzählt Jesus das Gleichnis von einem Weinbergbesitzer, der Tagelöhner anheuert – zur ersten, zur sechsten, zur neunten, zur elften Stunde kurz vor Sonnenuntergang. 8Am Abend sagte der Besitzer des Weinbergs zu seinem Verwalter:›Ruf die Arbeiter zusammen und zahl ihnen den Lohn aus! Fang bei den letzten an und hör bei den ersten auf.‹9Also kamen zuerst die Arbeiter, die um die elfte Stunde angefangen hatten. Sie erhielten ein Silberstück.
Wenn jemand für einen Tag Arbeit einen Silbergroschen bekommt, dann gibt es für die Arbeit ab der sechsten Stunde einen halben Silbergroschen, das ist die Regel. Aber genau das passiert hier nicht. Die nur eine Stunde gearbeitet hatten, sie hätten sich mit ein paar Cent begnügt. Viel gearbeitet haben sie jedenfalls nicht. Aber nun gut: Der Weinbergsbesitzer hat vielleicht einen guten Tag, da will er mal großzügig sein.
Und dann rechnen die anderen einfach mal hoch: also: wenn die schon ein Silberstück bekommen, dann müsste ich doch wohl… schließlich habe ich einen halben Tag, einen ganzen Tag schwer geschuftet und nicht nur bei Sonnenuntergang noch ein paar Traubenhängel gepflückt.
Doch geirrt: jeder von ihnen kriegt ein Silberstück, egal, wie lange sie gearbeitet haben. 11Als sie ihren Lohn bekommen hatten, schimpften sie über den Grundbesitzer.12Sie beschwerten sich: ›Die als Letzte gekommen sind, haben nur eine Stunde gearbeitet. Aber du hast sie genauso behandelt wie uns. Dabei haben wir den ganzen Tag in der Hitze geschuftet!‹
Haben sie nicht Recht? Es stimmt doch. Wie oft habe ich mich schon beschwert über die, die das gleiche wie ich verdienen, aber ständig nur krank sind, nichts tun und so weiter. Ich finde es ungerecht. So – wie auch die Tagelöhner auf dem Weinberg.
Der Besitzer antwortet:›Guter Mann, ich tue dir kein Unrecht. Hast du dich nicht mit mir auf ein Silberstück geeinigt?14 Nimm also das, was dir zusteht, und geh! Ich will dem Letzten hier genauso viel geben wie dir.
Recht hat er, der Besitzer. So war es vereinbart. Aber trotzdem: auch, wenn das so ausgehandelt war, ich bin neidisch. Ich bin neidisch, wenn ich merke, dass andere dasselbe bekommen wie ich, obwohl sie weniger oder nichts getan haben.
Der Besitzer des Weinbergs scheint so etwas wie der Vorreiter des bedingungslosen Grundeinkommens zu sein, bei dem alle den gleichen Sockelbetrag bekommen. 1.200 € sind angedacht. Dafür würden alle weitere Leistungen: Erwerbsminderungsrente, Wohngeld, Kinderfreibetrag usw. entfallen. Gut, im Weinberg arbeiten alle zumindest ein bisschen, aber das Grundprinzip ist gleich. Alle bekommen das gleiche Grundgehalt.
Es gibt momentan eine Gruppe ausgewählter Menschen, die mit bei einer Studie über das bedingungslose Grundeinkommen machen. Sie bekommen drei Jahre lang 1.200 €, ohne dass sie arbeiten müssen. Es soll untersucht werden, wie sich ihr Leben und ihre Bereitschaft zu arbeiten mit dem Grundeinkommen ändert. Die Idee hinter diesem Konzept ist ja, alle sollen genug zum Leben haben, dann können sie sich freiwillig in unserer Gesellschaft engagieren oder aber auch noch zusätzlich etwas dazuverdienen.
Ich persönlich bin skeptisch, ob das System des bedingungslosen Grundeinkommens tatsächlich dazu führt, dass dann alle beginnen, kreativ oder wie auch immer tätig zu werden. Freiwillig mit in unserer Gesellschaft arbeiten. Vor allem, wer macht dann die Arbeiten, die unbeliebt sind, die dreckig sind? Würden nicht zu viele sich dann gar nicht mehr vom Sofa bequemen? Ich habe ich schon zu viele Menschen kennengelernt, die auch jetzt versuchen, aller Arbeit aus dem Weg zu gehen. Die würden dann erst recht keinen Finger mehr rühren. Aber die gegensätzlichen Meinungen zur Grundsicherung gehen quer durch alle Bevölkerungsschichten, inklusive durch meine eigene Partnerschaft. Was würde Jesus dazu sagen?
Die Geschichte von den Arbeitern im Weinberg hat noch einen anderen Clou: Ein Silberstück brauchte damals jemand, um sich und seine Familie einen Tag zu ernähren. Das wusste Jesus, das wussten die Zuhörer*innen. Es geht in der Geschichte vom Weinberg nicht um Reichtümer, es geht um das absolute Minimum. Wenn ich denen, die weniger als 12 Stunden arbeiten, nur einen Anteil am Tageslohn gebe, heißt das, dass sie hungrig ins Bett gehen müssen. Am nächsten Tag müssen sie geschwächt erneut versuchen, Arbeit zu finden. Der Weinbergsbesitzer sorgt also nur dafür, dass alle das Notwendige bekommen, das sie zum Überleben brauchen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Denn weniger reicht nicht zum Überleben.
Bei der Geschichte von den Arbeitern im Weinberg handelt es sich um ein Gleichnis: Das Himmelreich gleicht einem Grundbesitzer. Also: das Himmelreich gleicht einer Welt, in der jede und jeder das bekommt, was er/sie unbedingt zum Leben braucht. Und zwar unabhängig davon, wie viel er oder sie leisten kann. Doch was bedeutet das für mich?
Wenn ich nur das bekäme, was ich zum Leben bräuchte, dann könnte ich mindestens auf die Hälfte meines Gehalts verzichten. Ich spende gerne, doch bei solchen Summen muss ich schlucken. Da bin ich dann wie der reiche Jüngling; der Jesu folgen will. Als Jesus ihn auffordert, sein Hab und Gut zu verkaufen und ihm nachzufolgen, da wird dieser traurig. Da werde auch ich traurig: Alles das, was mein Leben angenehm macht, aufgeben? Die viele Kleidung, die ich eigentlich nicht brauche, das Auto, das wir eigentlich nicht brauchen. Die Wohnung, die viel größer ist als nötig, die überflüssigen Reisen und und und. Unserer Erde würde das gut tun, dann könnte sie sich endlich von uns erholen. Der globalen Gerechtigkeit täte es auch gut.
Das Himmelreich gleicht einem Grundbesitzer… Wenn das Himmelreich kommt, wenn jede*r das bekommt, was er/sie zum Leben braucht, nicht mehr aber auch nicht weniger, dann liegt das Himmelreich noch weit entfernt von uns. Und ob wir daran wie der Weinbergsbesitzer mit bauen wollen? Ich fürchte: nein!
Ihr Olaf Lewerenz
Louis Marchand, 1669–1732
Dialogue sur les Grands Jeux