Hauptsache Sonntag bleibt der Laden dicht?

Ende der 60er Jahre bekam mein Vater eine Anzeige: er hatte unser Auto gewaschen – an einem Sonntag! Diese Störung der Sonntagsruhe schien einen Zeitgenossen so aufgeregt zu haben, dass er anonym meinen Vater anzeigte. Mein Vater hat sich maßlos darüber aufgeregt.

In den letzten Jahren wurde immer wieder mal gestritten, ob es verkaufsoffene Sonntage geben soll, auch jetzt wieder in Coronazeiten. Die „Allianz für den freien Sonntag“ ist strikt dagegen. Ich frage mich, ob es gegenwärtig für uns als Christen das größte Problem ist, dass der Sonntag geheiligt wird. Oder vielmehr, dass die Geschäfte zu bleiben. Wie gehen wir heute angemessen mit dem Sonntag um?

Jesus sagt im Markusevangelium im 2. Kapitel, Vers 27: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.“

In den 10 Geboten wird die Sabbatruhe mit Gottes Ruhen am siebten Schöpfungstag begründet und mit der Erinnerung an die Knechtschaft des Volkes Israel in Ägypten. Sabbatruhe also als Muße und als soziale Maßnahme für die ausgebeuteten Arbeiter*innen. Und tatsächlich ist mit der Verlagerung vom jüdischen Sabbat auf den christlichen Sonntag im 4. Jahrhundert ein regelmäßiger Feiertag in der damaligen Welt eingeführt worden, der bis heute bei uns nachwirkt. Ohne Sonntagsruhe hätte es keine 5 Tage Woche und kein Wochenende gegeben. Es ist also eines der großen sozialen Errungenschaften in der westlichen Welt.

Aber darf an solch einem Tag deshalb niemand ein Auto waschen? Einkaufen? Wäsche waschen?

Jesus interpretiert die 10 Gebote neu, versucht sie auf ihren Kern herunter zu brechen. Nicht den buchstabengetreuen Wortlaut gilt es zu erfüllen, sondern den Sinn der Gebote. Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht umgekehrt. D.h., ich muss abwägen, was dem Menschen nützt und was ihm schadet. Ich kann nicht einfach einen Satz aus der Bibel zitieren, sondern muss meinen Verstand einschalten und das Gebot zeitgemäß und menschenfreundlich interpretieren.

Solch ein Verständnis der Bibel ist ein Schlag ins Gesicht für alle buchstabengetreuen Vertreter von Religion, damals in Jerusalem, heute bei uns. Nicht einzelne Wortfetzen und Halbsätze sollen aus der Bibel geklaubt werden, sondern der Tenor, die Intention von Gottes Geboten und Weisungen soll erkannt und befolgt werden. Sabbatruhe nicht als Damoklesschwert, das über uns schwebt, sondern als ein Geschenk Gottes an uns. Ein Symbol, dass wir aussteigen können aus dem Alltagtrott und dem Zwang zu arbeiten und zu konsumieren.

Verbote führen auf Dauer nicht zu einer sinnvollen Lösung, eher bewusstes Leben, das andere ansteckt. Hand aufs Herz: ist der einzige Zweck unseres Lebens zu shoppen und zu arbeiten? Für mich nicht. Für mich ist es hilfreich, einen Tag zu haben, an dem ich ganz bewusst versuche anders zu leben. Denn der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.

Genießen Sie den Sonntag,
Ihr Olaf Lewerenz