Impuls zum 20. Sonntag nach Trinitatis

Dr. Olaf Lewerenz

Dr. Olaf Lewerenz

Stadtkirchenpfarrer
an St. Katharinen

Max Reger, 1873–1916
”Es ist das Heil uns kommen her“
Choralvorspiel op. 67, Nr. 10
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen
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„Kaum geboren, ist man schon achtzig.“

121Denk an deinen Gott, der dich geschaffen hat! Denk an ihn in deiner Jugend, bevor die Tage kommen, die so beschwerlich sind! Denn wenn du alt geworden bist, kommen die Jahre, die dir gar nicht gefallen werden.2Dann wird sich die Sonne verfinstern, das Licht von Mond und Sternen schwinden. Dann werden die dunklen Wolken aufziehen, wie sie nach jedem Regen wiederkehren.

Kohelet, der sogenannte Prediger, hat schon recht mit seiner Mahnung: denk an deinen Gott, bevor du alt geworden bist. Mag die Frage nach Gott im Alter wichtiger werden, es ist eine Frage für das gesamte Leben.

Kaum geboren, ist man schon achtzig – so hat es einmal Vicco von Bülow alias Loriot geäußert. Dass wir so schnell altern, macht uns zu schaffen, manchem schon ab Ende 20. Die Angst vor dem Älterwerden und dem Altsein lässt ganze Wirtschaftszweige blühen: Die Kosmetik- und Pharmaindustrie, Schönheitschirurgen, Fitnesscenter, Gesundheitsmessen und was noch alles.

121Denk an deinen Gott, der dich geschaffen hat! Denk an ihn in deiner Jugend, bevor die Tage kommen, die so beschwerlich sind!

Entscheidend für Kohelet: Denk an deinen Gott, der dich geschaffen hat. Diese Klammer umfasst unser ganzes Leben. Mag mir der Gedanke an Gott näher sein, wenn der Rücken knirscht, wenn die alten Eltern sterben, wenn im Leben viele Wege nicht mehr beschritten werden können, wenn ich mich mit dem Gedanken an die eigene Verwundbarkeit und Sterblichkeit anfreunden muss. Gott umfasst mein ganzes Leben, auch wenn ich in der Jugend mit meiner Endlichkeit leichter umgehen und sie einfach wegschieben kann.

Alles hat seine Zeit. Eine Zeit für die Geburt und eine Zeit für das Sterben. Eine Zeit zum Pflanzen und eine zum Ausreißen. Eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen. Und eben eine Zeit jung zu sein und eine Zeit alt zu sein. Und alles ein Windhauch. Da hilft kein Ja, aber. Das ist eben so. Schon wieder ist ein Sommer vorbei, kommt ein hoffentlich freundlicher Herbst, schon bald neigt sich das Jahr.

Wenn ich mein gesamtes Leben als von Gott gehalten begreifen kann und den Kampf gegen Alter und Tod aufgeben kann, dann kann ich mich nach Kohelet an dem erfreuen, was mir das Leben bietet – in allen Lebenslagen und Lebensalter. Dann kann ich essen und trinken, das Leben genießen.

Mich einlassen auf Gott, der mein Leben umfängt, kann im Alter bedeuten: Ich muss nicht mehr in der ersten Reihe stehen. Über Karriere kann ich schon jetzt in der zweiten Hälfte der 50er anfangen zu lächeln. Muss ich mir und anderen noch etwas beweisen? Ich beginne gerade mit dem Umdenken. Klar: auf meiner To-do-Liste steht noch einiges, das ich gerne machen würde. Aber um einen Posten kämpfen, verbissen an Macht klammern? Ich nicht mehr!

Und auch diese Erkenntnis hat gedauert: Ich darf so sein, wie ich bin: unvollkommen, ein Fragment, fehlerhaft und manchmal ziemlich verpeilt und nicht mehr so belastbar – wie mein Körper. Ich muss mein Leben nicht rechtfertigen durch das, was ich leiste. Ich bin einfach da, weil es Gott so gefällt und nicht, weil ich für irgendeinen Zweck verwendbar bin. 121Denk an deinen Gott, der dich geschaffen hat! Denk an ihn in deiner Jugend, bevor die Tage kommen, die so beschwerlich sind!

Und vor allem: genießen Sie Ihr Leben im Bewusstsein, dass wir vergänglich sind!

Ihr Pfarrer Dr. Olaf Lewerenz

Max Reger, 1873–1916
Te Deum
aus: 12 Stücke für die Orgel op. 59
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen