Mehr Sport, gesündere Ernährung, mehr Zeit für Familie und Freunde, für mich. Seltener das Auto nehmen, stattdessen lieber mit dem Rad fahren. Solche und ähnliche gute Vorsätze fassen viele Menschen am Beginn eines neuen Jahres. Im Rückblick auf das vergangene Jahr wird auf das geschaut, was verbesserungswürdig scheint und vorausgeblickt auf das, was in Zukunft anders sein soll.
Gute Vorsätze scheinen mir trotz ihres Namens recht ambivalent – einerseits halte ich im Nachdenken über sie inne und gönne mir die Zeit, auf das vergangene Jahr zurückzublicken und die schönen, wie die schweren Momente Revue passieren zu lassen. Außerdem halten sie mich als kleine Gedächtnisstützen dazu an, eingefahrene Muster zu durchbrechen und neues zu wagen. Zugleich können sie mich aber im neuen Jahr gehörig unter Druck setzen. In der Umsetzung gestalten sich die Vorsätze oft schwieriger als gedacht und vieles gelingt zu selten. Die Mahnung der Vorsätze schwebt dann wie eine Drohung über mir und lässt mich spüren, wenn ich an eigenen Vorstellungen und Ansprüchen scheitere.
Im Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen im 13. Kapitel des Matthäusevangeliums, dem Predigttext für den Altjahresabend, wird die Schwierigkeit von guten Vorsätzen deutlich: häufig sind meine schlechten Angewohnheiten und das, was mich verletzt verwoben mit dem, was ich mir an Gutem und Heilsamem vorgenommen habe. So wie das Unkraut im Gleichnis mit dem Weizen verwoben ist, ist auch im Leben das, was guttut und das, was verletzt oft nicht trennscharf zu unterscheiden. Der Herr im Gleichnis weiß um diese Verquickung. Seine Klugheit erweist er, indem er seinen Knechten verbietet, das Unkraut auf der Stelle auszureißen – das mit dem Weizen verwobene Wurzelwerk würde mit dem Unkraut auch die wertvolle Ernte ausmachen und damit vernichten.
Mit dem Gleichnis können sich neue Perspektiven in Rück- und Ausblicken in unserem Leben eröffnen. Denn was es beschreibt, ist eine Situation, die immer wieder begegnet: Das, was mir guttut und das, was mir schadet ist manchmal untrennbar miteinander verbunden und oft genug auf den ersten Blick kaum zu unterscheiden. Wie oft ist es schon passiert, dass etwas, von dem ich im Moment der Entscheidung dachte, es sei genau das richtige, sich als vollkommen untauglich erwiesen hat? Und auch das Gegenteil kann passieren: Erlebnisse, die im Moment der Erfahrung als große Zumutung und als schmerzlich empfunden wurden, zeigen sich im Rückblick als versteckter Glücksfall.
Oft lässt sich erst im Rückblick beurteilen, was heilsam und was verletzend war. Und manchmal reicht dafür der Rückblick auf das vergangene Jahr gar nicht aus. Es braucht den Abstand vieler Jahre, um schmerzhafte Widerfahrnisse irgendwie in das eigene Leben integrieren zu können. Und ebenso lange kann es dauern, vermeintlich gutes als leidbringend zu erkennen und aus dem eigenen Leben auszusortieren. Gute Vorsätze sind ja auch deshalb so schwer umzusetzen, weil wir ungern von Vertrautem loslassen, selbst wenn wir es als ungünstig oder sogar verletzend erkannt haben.
Das Gleichnis weist zugleich auf Geduld und Hoffnung hin. Geduldig zu sein mit den eigenen Erfahrungen, vermeintlich schwieriges nicht zu schnell abzustempeln, immer wieder neu den Rückblick zu wagen und auszuhalten, wo Glück und Leid, Trauer und Trost besonders nah beieinander liegen. Zugleich zeigt Jesus mit dem Gleichnis einen Weg auf, wie diese Geduld aufzubringen sein könnte: Es wird einen Zeitpunkt geben, an dem glückliches und schmerzliches voneinander getrennt werden. Und das, was mich schmerzt wird sprichwörtlich verbrannt werden, es wird sich in Rauch auflösen. Das aber, was mein Glück ist, was mir guttut, wird Bestand haben. „Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt in meine Scheune“, sagt der Herr zu seinen Knechten.
Diese Hoffnung trägt gerade in den Momenten, wo ich die Geduld verliere, wo ich das, was mich verletzt, kaum aushalte und mir so sehr wünsche, das Gute in meinem Leben möge doch endlich sichtbar werden. Und zwar jetzt, hier, sofort! Genau in solche Momente hinein spricht Paulus, wenn er in der Epistel für den Altjahresabend, im 8. Kapitel des Römerbriefs, schreibt: „Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.“ Dieser Hoffnung möchte ich mehr Raum geben im neuen Jahr – vielleicht nicht im Sinne eines guten Vorsatzes, sondern eher als rotem Faden, der meine Rück- und Ausblicke durchzieht.
Mirjam Raupp