Dr. Gita Leber
Pfarrerin an
St. Katharinen
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Das Pfingstfest und der Turmbau zu Babel
Dazugehören – Verbunden in der Unterschiedlichkeit
Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen.“ Gott hat nichts gegen Städte und Türme, aber er hat etwas gegen den nur auf seine eigene Größe und sein Gelten-Wollen fixierten Menschen. Um sich einen
Namen zu machen, wurde im Laufe der Menschheitsgeschichte
gewaltsam um Macht gekämpft. Wenn sie erkämpft war, gegen
andere eingesetzt. Um sich einen Namen zu machen, als größte,
wichtigste und stärkste Nation, stellen Staaten ihre eigenen Interessen
an die erste Stelle. Da werden mühsam errungene Gemeinsamkeiten
zum Wohl aller aufgekündigt. „Amerika first“– egal, ob die Kreatur im aufgeheizten Klima der Erde bedroht ist.
Auf der einen Seite leben wir in einer Zeit des Pluralismus und der Globalisierung. Noch nie haben Menschen eine solche Fülle an unterschiedlichen Kulturen mit eigenen Augen gesehen und erlebt, so
viele Sprachen gehört und selbst gesprochen. Vielfalt ist etwas
Selbstverständliches geworden. Auf der anderen Seite erleben
wir, wie autoritäre Herrscher wieder ihren Namen großmachen
und Pluralität zurückdrängen. Sie geben an, ihr Volk hinter sich
zu haben und ihren Namen zu einen. Vielfalt wird als Bedrohung
wahrgenommen, weil sie „zerstreut“. Schon in der Turmbaugeschichte
blitzt diese Angst auf. Die Menschen wollen sich einen Namen machen, „denn sonst“, so sagen sie, „werden wir zerstreut über die ganze Erde.“
Das eigene Volk wird zusammengehalten, indem der Herrscher
seinen Turm höher bauen lässt, als die der anderen. Volksgemeinschaft durch Feindbilder. Das kennen wir. Die eine Sprache spielt dabei bis heute eine zentrale Rolle. Eine Sprache zu sprechen kann ein Zeichen von Harmonie sein. Aber eine von oben verordnete Einheitssprache war immer ein Mittel totalitärer Staaten. Alle Diktaturen haben ihre eigene Sprache entwickelt und verordnet, um ihre Ideen in den Seelen der Menschen zu verankern. Wir sehen, wie destruktiv es sein kann,
wenn eine Nation aus diesem Geist des „Sich-einen-Namen- Machen“ heraus handelt.
Wie, wenn eine ganze Menschheit „sich einen Namen“ macht? Dann richtet sich das Großmachen des eigenen Namens gegen die Vorstellung, es gebe noch irgendetwas über dem Menschen, dem er sich selbst verdankt und dem gegenüber er verpflichtet ist. Der Mensch will mit seinem Turm die Spitze des Himmels erreichen und dort, wo man früher Gott glaubte, den Platz mit dem eigenen Namen ausfüllen. Das verhindert Gott in der Erzählung vom Turmbau zu Babel. Gott begrenzt die menschlichen Kräfte und Möglichkeiten, um die Menschheit vor sich selbst zu schützen. Gott setzt uns Grenzen. Er bewahrt uns vor der Selbstvergottung und rettet gerade so unsere Menschlichkeit. Das Misslingen und Scheitern des Turmbauprojekts rettet das Menschsein
der Menschheit. Das Leben ist immer Fragment. Die Trümmer des Turms beschreiben das menschliche Leben als das, wie es ist – mit all unseren „Abbrüchen“.
Aber die biblische Geschichte macht auch deutlich, dass die Sprachverwirrung nicht das Ende der Wege Gottes mit dem Menschen sein kann. Es bleibt eine Sehnsucht nach Verstehen, die der Mensch alleine nicht ausfüllen kann. Die Überlieferung wusste: Nur Gott kann es. Wenn seine Heilige Geistkraft die Menschen verwandelt. Das ist Pfingsten. Diese Geistkraft Gottes zwingt nicht zur Einheitlichkeit, sondern verbindet in der Unterschiedlichkeit. In der Pfingstgeschichte steht nirgendwo, dass der Geist Gottes alle Menschen in einer Sprache sprechen ließ. Es war so, dass jeder in seiner Sprache sprechen konnte und die Menschen einander verstanden, weil man sich gemeinsam als Gottes Söhne und Töchter begreifen konnte. Als Teil einer Familie Gottes, begabt mit Sprachen und Gedanken und der Sehnsucht nach
Zugehörigkeit. Sasa Stanisic sagt es in seinem Roman „Herkunft“ so: „Dazugehören. Überall, wo man mich haben und wo ich sein wollte. Kleinsten gemeinsamen Nenner finden: genügte.“ An Pfingsten feiern wir den Geist Jesu, der uns einlädt, alle Menschen in ihrer Würde als Kinder Gottes anzusehen. Alle haben einen unverwechselbaren Namen, der längst schon groß ist bei Gott und der in die Hand Gottes eingeschrieben
ist für immer, egal was und wie sie glauben; der uns lehrt, die Nächsten und Gott zu lieben und dem Leben zu dienen.
Ein geistvolles Pfingstfest wünscht Ihnen Ihre Pfarrerin
Gita Leber