Dr. Olaf Lewerenz
Stadtkirchenpfarrer
an St. Katharinen
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Liebe leben – aber wie?
1Nehmt euch also Gott zum Vorbild! Ihr seid doch seine geliebten Kinder.2Und führt euer Leben so, dass es ganz von der Liebe bestimmt ist. (Eph. 5)
Ganz schön steil, die Aufforderung des Verfassers des Epheserbriefs! Wir als Nachahmer Gottes – Schwieriges Unterfangen! Denn was bedeutet denn Gottes Liebe zu imitieren und durch mein Leben weiterzugeben? Herzchenluftballons und rosa Brille aufsetzen sind wohl kaum die richtigen Wege dazu.
Führt also euer Leben wie Kinder des Lichts! Klingt gut, aber alles nicht so einfach. Ein Satz wie: schaut, wie ihr mehr Licht verbreitet, wie ihr stärker im Geiste Gottes lebt, das passt eher zu meinem Alltag. Schauen, versuchen zu reagieren, langsam gewohntes Verhalten ablegen und ändern.
Worum geht es dem Verfasser des Epheserbriefs?
3Über Unzucht, jede Art Unsittlichkeit oder auch über Habgier sollt ihr nicht einmal reden. Denn das gehört sich nicht für Heilige.4Ihr sollt nichts sagen, das andere herabsetzt, nicht dumm daherreden und keine zweideutigen Witze machen. Das ist nicht angemessen!
So, jetzt sind wir im prallen Leben der Gemeinde in Ephesus und in Frankfurt am Main gelandet:
Unzucht, Unsittlichkeit und Habgier gehören zu unserer Umwelt und auch zu uns. Sicher in unterschiedlichem Maß ausgeprägt. Aber da hat sich die letzten 2.000 Jahre nur wenig geändert.
Ich wünsche mir eine Gesellschaft ohne Unzucht, Unsittlichkeit und Habgier, aber die wird es nie geben. Weder unter Christ*innen noch sonst. Den Weg der Liebe zu gehen kann nur bedeuten, mich meinen dunklen Seiten nicht hinzugeben, sondern an ihnen zu arbeiten, aber das ist ein langer und mühsamer Weg.
Und wie oft liegen mir böse Kommentare und anzügliche Bemerkungen auf der Zunge. Klar, die besten Witze sind zweideutig, aber sofern sie auf Kosten von anderen gehen, versuche ich darauf zu verzichten. Vor allem, wenn sie wie beim Mobbing auf Kosten von Schwächeren gehen. Auch da muss ich mich zusammenreißen, aber das lässt sich umsetzen. Kurzfristig, indem ich mir auf die Zunge beiße, längerfristig, indem ich die Brille der Empathie aufsetzte.
Empathie ist eine Eigenschaft, aber eine, die trainiert werden kann und muss. Wenn ich mir mit den Ohren meines Gegenübers mir die Kommentare von anderen und meine eigenen Worte anhöre, dann kann ich nachspüren, ob sie verletzen. Dann kann ich sensibel werde für Rassismus, Sexismus, Antisemitismus. Wenn ich „nur“ versuche, andere nicht herabzusetzen, dann habe ich im Alltag viel zu tun.
Die Jahreslosung von 2021 lautet: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ Diese Aufforderung von Jesus im Lukasevangelium (6,36) kann ein Weg sein, als Kinder des Lichts zu leben. Denn es verändert meine Haltung: barmherzig sein heißt warmherzig sein. Heißt mit Empathie auf mich und meine Mitmenschen zu schauen. Dem Bettler mit einer überlegenen Geste einen Euro in seinen Pappbecher zu werfen ist nicht barmherzig. Barmherzigkeit heißt, sich mit dem Gegenüber auf eine Ebene zu begeben. Heißt, das Gegenüber ernst zu nehmen, so wie er oder sie ist. Alle Mitmenschen ernst nehmen, ob sie an der Pforte beim Empfang oder im Chefsessel sitzen. Ob sie kulturell distinguiert plaudern oder sich mit falscher Grammatik zu verständigen suchen.
Barmherzig sein heißt nicht konturlos sein. Ich kann gegenüber meinen Mitmenschen durchaus eine eigene Position beziehen, auch konfrontieren, aber eben nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe. Barmherzigkeit üben, ein Weg, die Liebe Gottes zu uns in meinem Alltag zu leben.
Mit Empathie kann ich beginnen, neue Wege einzuschlagen. Wege auf den Spuren von Gottes Liebe. Mit Rückschlägen, mit blinden Flecken, aber mit Mut und der Gewissheit, dass Gott dabei gnädig auf uns blickt. Und damit Licht und ein Glänzen in unseren trüben Alltag zu bringen.