Impuls um Sonntag Quasimodogeniti

Dr. Gita Leber
Pfarrerin an St. Katharinen

Johann Sebastian Bach, 
Dorische Toccata BWV 538
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen
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Predigttext: Joh 21, 1-14 (III)

Liebe Gemeinde!

„Ich gehe fischen“, sagt Petrus. „Wir kommen mit dir.“ Sieben der Jünger fahren – noch in der Nacht gegen Morgen – mit dem Boot auf den See Genezareth hinaus. Beim ersten Versuch sind sie erfolglos. Als sie zurückkommen – mit leeren Netzen – steht ein Mann am Ufer. Er ist in einer fast selbstverständlichen  Weise einfach da. Er gebietet ihnen einen zweiten Versuch. Aber anders. Er gibt ihnen den Hinweis, ihr Netz auf der anderen Seite des Bootes auszuwerfen. Dieser zweite Versuch ist dagegen so erfolgreich, dass sie Mühe haben, das volle Netz mit den Fischen ans Land zu bringen. Der Mann ist wieder da. Zweimal begegnen die sieben Jünger dem auferstandenen Jesus. Er ist zuerst einmal ein Mann am Ufer. Und siehe da! Die erfüllte Weissagung des Mannes am Ufer öffnet dem Lieblingsjünger die Augen und er erkennt „Es ist der Herr“. Petrus ist nackt. Als Petrus das Bekenntnis hört, zieht er Kleidung an, verlässt die anderen und drängt, um schneller an Land zu sein, energisch schwimmend und watend zum Ufer. Die anderen mühen sich, das Boot mit den vielen Fischen – insgesamt 153- ans Ufer zu bringen. Schließlich hilft ihnen Petrus und es gelingt. Das Netz zerreißt nicht.

Am Ufer kommt es dann zu dieser zweiten Begegnung der sieben Jünger mit dem auferstandenen Jesus, der bereits ein schönes Lager-und Grillfeuer angezündet hatte und schon ein paar Fische und Brote übers Freuer gelegt hatte. So lädt der auferstandene Jesus die Jünger zum Mahl ein und gibt ihnen gegrillten Fisch und gegrilltes Brot zum Essen. Er schlüpft in die Rolle der Frauen, die für’s Essen zuständig sind. Er macht Frühstück. Und keiner der Jünger fragt ihn, wer er ist. Denn sie wissen: Es ist der Herr! Und doch bleibt hier etwas in der Schwebe.

Was sehen, was erkennen sie eigentlich? Das bleibt in der Schwebe. Und das ist gut so. Denn immer wieder behaupten Leute, sie wüssten ganz genau, wie Jesus wäre, was er meinen oder nicht meinen würde. Ihnen wäre sonnenklar, wie Gott zu verstehen sei, und ihr Weg zu Gott sei der einzige.
Diese Ostergeschichte versperrt sich den schnellen Antworten. Sie zeigt auch, dass es um schnelle Antworten überhaupt nicht geht.

Was hat das mit der genauen Zahl der Fische auf sich?

Die Zahl 153 wird erklärt (unter anderen Deutungsmöglichkeiten) als die Zahl der damals bekannten Fischarten. Die Zahl ist ein Symbol für die weltweite Christenheit. Petrus, Johannes und die anderen Jünger*innen sind nicht nur Bootsfischer, sie sind auch Menschenfischer.

Die Pointe könnte darin liegen, dass hier Fische allermöglichen Arten vereint werden, wie in den christlichen Gemeinden Menschen aller möglichen sozialen, ethnischen, religiösen und kulturellen Herkunft. Es ist erstaunlich, dass die frühe Kirche / die Redakteure des Johannesevangeliums die Idee einer versöhnten Gemeinschaft aufnahmen. Eine Gemeinschaft von Menschen aller möglichen Arten wurde für attraktiv gehalten, während wir uns heute in einer aufgeklärten und globalisierten Welt immer schwer damit tun.

Blicken wir noch einmal auf den Mann am Ufer.

Die Erzählung im Johannesevangelium sagt: „Da es aber jetzt Morgen war, stand Jesus am Ufer“. Der auferstandene Jesus ist schlicht und einfach da – nach einer enttäuschenden Nacht, nach vergeblicher und glückloser Mühe und Arbeit. Entscheidend für uns ist, Zeichen seiner Gegenwart im Alltag immer wieder zu entdecken und sie als Zeichen seiner Nähe zu deuten. Ostern kann für uns weiter gehen, wenn wir eigene Erfahrungen machen mit dem fürsorglichen Gott.

Vergebliche Nächte und vergebliche Tage gehören zum Leben. Bei genauerem Hinsehen sind sie viel zahlreicher als wir uns selbst und anderen eingestehen wollen. Was ist im Netz geblieben von der Jugendzeit im Kreis der Familie, oder der Studienzeit? Wir können erahnen, wie das ist, wenn das Netz nach einer langen Nacht oder einem langen, mühevollen Tag leer aus dem Wasser kommt. Wir können erahnen, wie es ist, das Boot nach viel Arbeit und Mühe ans Ufer bringen zu müssen und den Tag zu beginnen oder zu beenden, ohne etwas in Händen zu haben. Was ist geblieben von der Mühe, vom vollen Terminkalender?

„Und in dieser Nacht fingen sie nichts. Da es aber jetzt Morgen war, stand Jesus am Ufer.“ Eine Nacht, von der man das weiß, und ein Tag, von dem man ahnt, ist anders, wenn wir spüren: dort steht er am Ufer. Da wartet einer auf mich, wartet auf Dich mit Deiner Enttäuschung, Deiner Erschöpfung, Deiner Frage, ob alles einen Sinn hat. Am Ende der Nacht wartet der auferstandene Jesus auf uns, sicherlich auch am Ende unserer letzten Nacht, der Nacht des Todes. Auch da steht Jesus, wenn es Morgen ist, am Ufer.

Das bedeutet Ostern: die Umkehrung der Reihenfolge von Leben und Tod in die Abfolge von Tod zum Leben. Christus ist da. Gott ist da. Gott sorgt für uns. „Siehe, ich bin bei Euch, alle Tage, bis an der Welt Ende!“

Das volle Netz

Hat der auferstandene Jesus hier ein Wunder bewirkt?  Ich denke, dass wir diese Szene gar nicht ins Übernatürliche hineininterpretieren müssen. Der auferstandene Jesus macht vielmehr genau das, was er auch als irdischer Jesus vielfach gemacht hat: Er hat auf die Fülle aufmerksam gemacht. Und am Ende teilt er das, was er zubereitet hat, mit allen. Ins Heute übertragen:  Jedenfalls können heute alle satt werden, wenn wir gerecht teilen und keine Kriege führen. Auch das ist immer in jedem Speisungswunder miterzählt.

Und Jesus macht noch etwas in dieser Geschichte: Er macht auf übersehene Möglichkeiten aufmerksam. Schon der irdische Jesus hat seine Welt weniger als feststehende und festgefahrene Wirklichkeit wahrgenommen, sondern als einen Lebensraum voller Möglichkeiten; ja, selbst Gott hat er weniger als Garanten einer immer gleichbleibenden Wirklichkeit verstanden, sondern vielmehr als den Schöpfer von Möglichkeiten. Manchmal genügen schon einfache Hinweise, um eine Welt mit ihren Möglichkeiten zu erschließen. Es gibt nicht nur „dies oder das“. Sondern auch: „Sowohl als auch“ und: „Keins von beiden“ und: „was ganz anderes“. Immer hat einer das Netz auf der einen Seite des Bootes ausgeworfen. Wirf es doch auf der anderen Seite aus! Jesus lebte als irdischer Mensch und lebt als auferstandener Herr in den Möglichkeiten des Lebens. Da wo Menschen keine anderen Möglichkeiten mehr sehen, sieht er neue, andere! Da, wo die blanke Wirklichkeit triumphiert und den Tod nur noch so sieht: als das Ende aller Möglichkeiten. Im kleinen Hinweis: Werft das Netz zur Rechten des Bootes aus! Artikuliert Jesus seinen Protest gegen die Fixierung auf die Wirklichkeit und öffnet den Blick für den schöpferischen Raum des Möglichen.

Wer hier seinen Blick vom Wirklichen zum Möglichen wendet und erneut – auf neue Hoffnung hin – ausfährt zum Fischen oder anderen Mühen des Lebens, der wird dann auch den am Ufer Stehenden, als Christus erkennen, der uns nahe ist. Und der- und diejenige wird sich dann auch gerne einladen lassen zu dem Mahl, das der auferstandene Jesus bereitet, in dem er in unserer Mitte anwesend ist und uns zusammenbringt und miteinander versöhnt.
Amen

Max Reger, 1873–1916
Toccata d-moll op. 59, Nr. 5
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen

Evangelisch-lutherische St. Katharinengemeinde