Für den Bauzaun am Turmeingang der St. Katharinenkirche hat Honsar alias Jan-Male Strijek einen Fries geschaffen: auf der einen Seite wird die Geschichte von „unserer“ Katharina erzählt, auf der anderen Seite das Martyrium der Hypatia geschildert.
Von der historischen Katharina, der Reinen, wissen wir nicht viel. Geboren vielleicht auf Zypern, gestorben um 307 in Alexandria. Der Sohn des Kaisers wollte die schöne, gebildete und reiche Katharina heiraten, doch er und alle anderen Verehrer genügten ihr nicht an Schönheit, Reichtum und Bildung. Sie ließ sich taufen und erlebte in einer Vision, wie das Jesuskind ihr den Verlobungsring an den Finger steckte.
Als Kaiser Maxentius von allen Bewohner*innen Alexandrias Opfer für die römischen Götter verlangte, weigerte Katharina sich und bestand darauf, den christlichen Glauben in einer Diskussion zu verteidigen. Der Kaiser lud die 50 klügsten Philosophen ein, sie behielt die besseren Argumente. Sie wurde ausgepeitscht, gerädert, aber nicht sie, sondern die Folterer starben. Schließlich wurde Katharina mit dem Schwert geköpft (daher hält sie im Turm galant ihr Marterwerkzeug), aus der Wunde aber floss kein Blut, sondern Milch. Von Engeln wurde ihr Leib und auf den Berg Sinai gebracht, wo das um 550 entstandene Katharinenkloster nach ihr benannt wurde. Da sie aber erst ab dem achten Jahrhundert verehrt wurde, bleibt ihr Leben für uns Legende.
Hypatia war eine spätantike Philosophin, Astronomin und Mathematikerin aus Alexandrien. Sie genoss großes öffentliches Ansehen. Von Hypatia ist erwiesen, dass sie wegen ihres Festhaltens an der neuplatonischen Philosophie und am heidnischen Glauben im Jahr 416 von christlichen Mönchen ermordet wurde.
Doch nun folgt das Ungeheuerliche: Möglicherweise wurde aus dem Martyrium der Hypatia die Legende der Katharina von Alexandria gestrickt: Hypatia wurde durch dreiste Umdeutung unter dem Namen von Katharina zu einer christlichen Frauengestalt, die wegen ihres Glaubens von Heiden gefoltert und ermordet worden wäre. Dabei haben nicht sogenannte Heiden ihre Wut an Katharina ausgelassen, sondern Christen ihren Hass auf eine gebildete Frau sogenannten heidnischen Glaubens freien Lauf gelassen.
Im Fries am Turmeingang der Katharinenkirche wird jetzt die historische Person der Hypatia mit der unbewiesenen Geschichte von Katharina von Alexandria zusammengebracht.
Ist es damit an der Zeit, unsere Kirche in St. Hypatia umzubenennen? Sicher nicht! Aber es gilt Verantwortung zu übernehmen für die doppelte Tötung von Hypatia: für ihr Martyrium und für die Auslöschung ihrer Geschichte durch eine Umdeutung auf eine christliche Heilige. Und wachsam zu sein für Menschen, deren Geschichte heute verfälscht, verschwiegen, mundtot gemacht wird im Namen einer vermeintlich höheren Gerechtigkeit.
Ihr Stadtkirchenpfarrer Dr. Olaf Lewerenz