Impuls zum 4. Advent

Dr. Olaf Lewerenz
Dr. Olaf Lewerenz

Arnold Schlick, 1483–1522,  „Maria zart von edler Art”
Choralbearbeitung
Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen

Neulich in Nazareth…

Nachmittag, Alltag im Hause von Maria und ihren Eltern Anna und Joachim. Da sitzt sie nun und stopft Strümpfe. Gerade hat sie den Faden abgeschnitten, die Schere auf den Tisch gelegt. Doch da geht auf ein Mal die Tür auf und ein Engel tritt herein. Nein, er tritt nicht herein, er stürmt, sein Gewand flattert, er muss eilig zu Maria kommen. In den monotonen Alltag dieser jungen Frau kommt Bewegung, der Wind weht, der Hauch der Geschichte, der Hauch des Neuen, der Hauch Gottes. 

26Elisabet war im sechsten Monat schwanger. Da schickte Gott den Engel Gabriel zu einer Jungfrau in die Stadt Nazaret in Galiläa.27Sie war mit einem Mann verlobt, der Josef hieß und ein Nachkomme Davids war. Die Jungfrau hieß Maria.28Der Engel trat bei ihr ein und sagte:»Sei gegrüßt! Gott hat dir seine Gnade geschenkt. Der Herr ist mit dir.«29Maria erschrak über diese Worte und fragte sich: »Was hat dieser Gruß zu bedeuten?« 

Da steht mit einem Mal ein Fremder in der Stube, was kann das bedeuten? Ein fremder Mann im Haus, nicht der Vater, nicht der Verlobte. In Nazareth, da kennt Maria alle, diesen hier kennt sie nicht. Ein Engel? Hm… Wo ist Josef, wo die Mutter Anna, ihr Vater Joachim, soll Maria um Hilfe schreien? »Sei gegrüßt! Gott hat dir seine Gnade geschenkt. Der Herr ist mit dir.« Komischer Kauz, was soll denn so eine Begrüßung? Gott hat mir, mir, einer einfachen jungen Frau, seine Gnade geschenkt? Ist der noch ganz bei Trost?

30Da sagte der Engel zu ihr:»Fürchte dich nicht, Maria. Gott schenkt dir seine Gnade:31Du wirst schwanger werden und einen Sohn zur Welt bringen. Dem sollst du den Namen Jesus geben.32Er ist zu Großem bestimmt und wird ›Sohn des Höchsten‹ genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vorfahren David geben.33Er wird für immer als König herrschen über die Nachkommen Jakobs. Seine Herrschaft wird niemals aufhören.« 

Halt, stopp! Wie, ich soll schwanger werden? Und zwar nicht nach meiner Hochzeit, sondern jetzt? Gnade nennst du das? Du weißt, was das bedeuten würde? Über mir und meiner Familie wäre Schande. Die Hochzeit mit meinem Verlobten, die könnte ich knicken. Was ist hier eigentlich los? Erst rauscht hier eine Gestalt rein, dann sagt die mir etwas davon, dass Gott mir seine Gnade schenkt und dann soll ich auch noch schwanger werden, ich? Gott sei Dank: ich habe ja mit niemandem geschlafen, wie sollte ich schwanger sein? 

34Da sagte Maria zu dem Engel:»Wie soll das möglich sein? Ich habe doch noch nie mit einem Mann geschlafen!«35Der Engel antwortete:»Der Heilige Geist wird auf dich kommen. Die Kraft des Höchsten wird dieses Wunder in dir bewirken. Deshalb wird das Kind, das du erwartest, heilig sein und ›Sohn Gottes‹ genannt werden.36 

Momendemal: der Heilige Geist soll über mich kommen? Was redest du so geschwollen: Die Kraft des Höchsten wird dieses Wunder in dir bewirken. Mein blaues Wunder werde ich erleben, wenn ich meinen Eltern beichten muss, dass ich schwanger bin. Dann kann ich mir gleich den Strick nehmen oder muss zumindest das Dorf verlassen. Und wenn das stimmt, was du sagst, wer würde mir schon glauben? Die Kraft des Höchsten wird dieses Wunder in dir bewirken. Wenn, dann wären da ganz andere Kräfte am Werk, ich wäre ja nicht die erste, die von einem Mann missbraucht wird. Dann wird es aber ein Kind der Schande, kein heiliges Kind, kein Sohn Gottes. Das kommt mir alles vor wie ein Alptraum. 

Sieh doch: Auch Elisabet, deine Verwandte, erwartet einen Sohn trotz ihres hohen Alters. Sie ist jetzt im sechsten Monat schwanger, und dabei hieß es: Sie kann keine Kinder bekommen.37Für Gott ist nichts unmöglich.«38 

Elisabeth schwanger, in dem Alter? Und sie haben sich immer so sehr ein Kind gewünscht. Wenn das wahr wäre, was du sagst, das wäre schon ein Wunder…

Da sagte Maria: »Ich diene dem Herrn. Es soll an mir geschehen, was du gesagt hast.« Da verließ sie der Engel.

Soweit die Ankündigung der Geburt von Jesus  aus dem Lukasevangelium Kapitel 1, versehen mit ein paar Kommentaren von Maria.

Nach der Szene mit dem Engel, der die Geburt von Jesus ankündigt, bricht Maria auf, über die Berge zu ihrer Tante Elisabeth. Sie will sehen, ob das, was der Engel ihr erzählt hat, stimmt. Wenn diese in ihrem Alter schwanger ist, dann hält sie es nicht mehr für unmöglich, selber schwanger zu werden. Dann kann auch das andere stimmen. Das andere, dass sie den Retter der Welt in sich trägt: Jesus, der Himmel und Erde versöhnt, Jesus, der Recht und Gerechtigkeit schafft. So, wie Maria es in ihrem Lobgesang singt: „Er stürzt die Machhaben vom Thron und erhöht die Niedrigen. Er füllt den Hungernden die Hände und lässt die Reichen leer ausgehen.“

 Es soll an mir geschehen, was du gesagt hast. So endet die Szene der Ankündigung der Geburt von Jesus. Maria weiß: ihr und ihrem Sohn wird kein leichtes Leben bevorstehen. Doch sie willigt ein in Gottes Heilsplan. Sie weiß, sie wird schreiend unterm Kreuz ihres Sohnes stehen. Sie willigt ein, um Gerechtigkeit und Frieden auf Erden eine Chance zu geben.

Sie und die vielen, die sich von Gott rufen ließen, haben Gerechtigkeit und Barmherzigkeit auf unsere Welt gebracht und einen Stern zum Leuchten gebracht, der auch nach 2.000 Jahren noch hell über Bethlehem und allen Krippen dieser Welt strahlt, an Weihnachten, bei uns, Amen.

Ihnen eine rauschende Adventszeit.

Johann Sebastian Bach, 1685–175o
Fuga sopra il Magnificat BWV 733
Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen

 

Evangelisch-lutherische St. Katharinengemeinde