Impuls zum 2. Sonntag nach Trinitatis

Pfarrerin Dr. Gita Leber

St. Katharinengemeinde
Frankfurt am Main

Niels Wilhelm Gade, 1817–1822
Tonstück F-Dur op. 22
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen
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Predigttext: Matthäus 11, 25-30 (II)

„25 Zu der Zeit fing Jesus an und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies Weisen und Klugen verborgen hast und hast es Unmündigen offenbart. 26 Ja, Vater; denn so hat es dir wohlgefallen. 27 Alles ist mir übergeben von meinem Vater, und niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will. 28 Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. 29 Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. 30 Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.

Liebe Gemeinde,
Anfang Juni hatte ich Geburtstag. Meine Familie sang für mich vor dem Kaffeetrinken das bekannte Ständchen: „Viel Glück und viel Segen…“. Wie stärkend es sein kann, diese Tradition zu leben: dieses Lied für einen anderen Menschen zu singen und ihn damit zu segnen.

Glück, Segen, Gesundheit und Frohsinn, alles Dinge, die wichtig sind für unser  Leben. Aber gehört in diesen Tagen nicht eigentlich die Gesundheit an die erste Stelle? Ich denke: bei diesem Lied geht es gar nicht darum, was zuerst kommt. Es zählt Dinge auf, die alle für unser Leben wichtig sind. Was wäre unser Leben ohne ein gewisses Maß an Freude und Frohsinn? Besonders in diesen letzten Monaten, die gewiss sehr eindimensional für Viele waren.

Ich bewundere Menschen, die selbst in schwierigen Situationen noch lachen und andere froh machen können. Wir sehen noch die Bilder: Menschen haben in der Zeit der Kontaktbeschränkungen wegen Corona an Fenstern oder auf Balkonen Musik gemacht, sind – mit viel Abstand natürlich – vor Alten- und Pflegeheime gezogen, um auch dort für Menschen Musik zu machen. Es tat richtig gut zu erleben, wie Menschen in dieser beklemmenden Situation anderen eine Freude machten und diese Freude auch ankam.

Jesus spricht im Matthäus-Evangelium die Mühseligen und Beladenen an. Also alle, die schlechte Zeiten erleben. Durch Krankheit, einen Verlust, durch erlebte Diskriminierung… Und er sagt, sie / wir alle sollen zu ihm kommen. Er wird die Last leicht machen und sanft die Mühsal verwandeln.

Es gibt Menschen, die mit einer schweren Krankheit dauerhaft leben müssen und die dennoch manchmal so viel Fröhlichkeit ausstrahlen. Ich bewundere das. Sie spüren, wenn man ihr Leben nicht als vollwertiges Leben betrachtet. Sie betonen deshalb immer wieder, dass sie glücklich sein können, trotz der Krankheit. Natürlich nicht immer- wie auch?

In einem Gespräch mit einer Kranken machte sie mir klar: All die Dinge, die mein Leben lebenswert machen, sind keine objektiven Größen. Glück, Freude, Gesundheit kann man nicht messen oder einschätzen. Manchmal, so sagte sie,  freue ich mich über eine Kleinigkeit, die ein anderer glatt übersieht. Oder ich bin unglücklich, obwohl mein Leben gerade so perfekt erscheint.

Ist Gesundheit objektiv ? Bin ich gesund, wenn alles an mir funktioniert ? Wer könnte dann noch von sich sagen: Ich bin gesund? Die Weltgesundheitsorganisation WHO beschreibt Gesundheit so: „Mit sich selbst und der Umwelt im Einklang leben“. Ich glaube, das müssen wir alle mühsam lernen. Besonders wenn es uns das Leben hart trifft und wir wirklich mühselig und beladen sind. Der Gedanke, dass Gott mich dennoch mit seinem Segen begleitet, hilft mir dabei.

Vor einiger Zeit habe ich eine junge Frau in ihrer Trauer um ihren verstorbenen Mann begleitet. Sie hat mit mir angefangen wieder zu beten. Sie bat Gott um eine neue Sicht auf ihr Leben. Und sie hat nach und nach wieder gelernt, auch die schönen Dinge in ihrem Leben zu sehen. Dann und wann kommt die Schwere und Traurigkeit, wieder hoch. Dann faltet sie ihre Hände und bittet Gott, dass er sie aus diesem Loch rausholt und ihr auch in ihrem Belastet-Sein seinen Segen schenkt. Ich habe die trauernde junge Witwe gefragt, was für sie Gottes Segen bedeutet? Meist stellt man sich doch unter einem „gesegneten Leben“ ein glückliches, gelingendes und vor allem gesundes und vor tiefer Trauer verschontes Leben vor.

„Natürlich habe ich Gott immer wieder erzählt,“ sagte sie „dass ich mir mein altes Leben zurück wünsche. Aber es gibt unwiederbringlich Verlorenes. Meine Eltern, meine Freunde – Viele haben für mich gebetet. Es hat sich auch einiges gebessert, aber aus der Trauer kam ich lange nicht raus. Aber mein Leben ist mehr als die Beladenheit durch Trauer. Immer wenn ich auf die Last schaue, vergeht mir aller Lebensmut. Gott hat mir geholfen, aus dieser Starre rauszukommen. Gott ist da. Er lässt mich nicht fallen. Das ist für mich sein Segen. Ohne diesen Segen möchte ich nicht mehr leben.

Die junge Witwe fühlt sich von Gott gesegnet, obwohl ihr Leben nun ein ganz anderes geworden ist. Segen ist keine weitere Zutat für ein glückliches Leben. Ich bin überzeugt: Segen ist die Basis, auf der unser Leben steht. Segen bedeutet: Gott wendet sich uns Menschen zu. Einen solchen Segen bekommen wir nicht mal mehr oder mal weniger. Ein solcher Segen ist nicht der Lohn für ein besonders frommes Leben. Alle Menschen stehen unter diesem Segen Gottes. „Kommt her zu mir alle“ ruft Jesus in Gottes Namen.

 „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Black lifes matter. Dahinter steht die Überzeugung: Unserem menschlichen Leben wohnt der Segen Gottes inne. Aus diesem Segen bekommt der Mensch seine göttliche Würde. Diese Würde darf ihm kein anderes Geschöpf absprechen.

Die biblischen Religionen, Judentum und Christentum, wissen um die Gefahr, Segen und Erfolg gleich zu setzen. Wir haben erkannt: Auch ein von Gott gesegneter Mensch kann in eine tiefe Krise rutschen, es kann ihm auch schlecht gehen. Ich weiß: Wir können solche Erfahrungen schwer mit Segen Gottes vereinbaren. Wir alle sind bedürftig. Gottes bedürftig.

Jesus ruft uns Mühselige und Beladene zu sich. Er spricht uns zu: Du bist mehr und anderes und heller als da, was du gerade in dir siehst! Hinter deinen Grenzen, hinter deiner Verzweiflung ist eine Kraft, ein Licht, ein Raum, der dich heilen wird, der dich und deine Beladen-Sein und deine Mühsal hineinstellt in einen Sinn, der größer ist als alles, was du dir selbst ausdenken kannst.
Amen.

Niels Wilhelm Gade, 1817–1822
Tonstück a-moll op. 22
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen