Impuls zum Sonntag Kantate

Pfarrerin Dr. Gita Leber   St. Katharinen  Frankfurt am Main

Sonntag Kantate –  Wiederaufnahme von Gottesdienstfeiern mit bis zu 70 Gemeindegliedern!
 „So Gott will und wir leben“ (Jakobus 4, 15)

Johann Gottfried Walther, 1684–1748
Choralvorspiel „Lobe den Herren“
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen
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Liebe Gemeinde!

Eine Hochzeit ist ein Event, ein großes Ereignis für die Brautleute, für ihre Eltern und Gäste. Ausgefeilte Hochzeitsplanungen gehen weit über ein Jahr vor dem Hochzeitstermin los. Konfirmation ist der Höhepunkt nach einem ganzen Jahr des gemeinschaftlichen Lernens und Erlebens. Konfirmationen wie Hochzeiten müssen in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie-Bekämpfung verschoben werden.

Wir alle führen ein Leben mit Terminkalendern. In dem stehen die beruflichen und privaten Termine für die nächsten Wochen, Monate und oft sogar schon fürs nächste oder übernächste Jahr. Wenn die Familienwoche gut geplant ist, dann denke ich zufrieden – so wird das alles gut klappen. Wenn ich aber den anderen Kalender in die Hand nehme, wird es mir manchmal ganz unheimlich, wie selbstverständlich ich meine Zeit verplane. So, als wäre sie mein Besitz, mit dem ich machen kann, was ich will.
Aber weiß ich denn heute, ob ich nächstes Jahr nicht vielleicht ganz andere Sorgen habe? Vielleicht ist mir dann etwas anderes viel wichtiger? Vielleicht bin ich krank? Vielleicht sogar gar nicht mehr am Leben? Weiß ich das alles?

„Was ist euer Leben?“, wird im Jakobusbrief gefragt. Jakobus schreibt:„ Ihr sagt: heute oder morgen wollen wir in die oder die Stadt gehen und wollen ein Jahr dort zubringen und Handel treiben und Gewinn machen – und dabei wisst ihr gar nicht, was morgen sein wird. Was ist euer Leben? Ein Rauch seid ihr, der eine kleine Weile bleibt und dann verschwindet. Dagegen sollt ihr sagen; wenn Gott will, werden wir leben und dies und das tun.“ (Jak 4, 13-15)

Dieses Ausnahmefrühjahr und dieser -sommer, in dem wir nicht ins ferne Ausland fliegen sollen und auch nur begrenzt in Deutschland reisen, lässt uns Ambivalenzen erfahren: Einerseits gibt es diesen Eventhunger, andererseits fühlt es sich gut an, mal zu Hause zu sein und zu lesen. Einerseits bin ich ein geselliger Mensch, andererseits entdecke ich, wie gut ich für mich sein kann. Einerseits liebe ich meine Familie, anderseits fällt mir mit ihnen eingepfercht die Decke auf den Kopf und die Nerven liegen blank. Einerseits ist Homeoffice eine erstrebenswerte Arbeitsweise, andererseits vermisse ich die Kolleginnen und Kollegen.

Jakobus war Gemeindeleiter in der Urgemeinde von Jerusalem. In einem Brief versucht er den Alltag der ersten Christen zu regeln. Ihm war wichtig, dass der Glaube sichtbare Auswirkungen auf den Alltag hat. Aber nicht nur daran, was sie tun, soll man die Christinnen erkennen, sondern auch daran, wie sie mit ihrer Zeit umgehen.
Das ist der „Vorbehalt des Jakobus“: So Gott will und wir leben. Wir verdrängen das und müssen es vielleicht auch verdrängen, dass alles unter Vorbehalt geplant ist. Doch ich erlebe jetzt in dieser Corona-Pandemie-Zeit, dass meine Zukunftsplanungen höchst vorläufig sind. Und dass meine Termine unter Vorbehalt stehen.
Was wirklich wichtig ist, das ist dieser Tag heute. Gott hat ihn mir geschenkt. Er ist unendlich kostbar, auch wenn ich kein Event erlebe, denn heute Abend wird er unwiederbringlich vorbei sein. Was ich morgen tue, das habe ich gut geplant. Ob es gut gehen wird, das wird sich zeigen. So Gott will und wir leben. Dieser Gedanke macht mich demütiger, als ich es sonst bin. Ich erlebe das nicht nur als eine Einschränkung, sondern auch als eine Erweiterung meines Gefühls-Horizonts oder als Zugewinn von Weisheit:  dass ich die Gegenwart reichlicher genieße als sonst; dass ich die Kostbarkeit des heutigen Tages empfinde. Dass ich entdecken kann, was wirklich wichtig ist im Leben; was mir eigentlich fehlt und was ich wirklich habe an Lebensdienlichem und Wohltuendem.

Nun sind Lockerungen in den Pandemie-Verordnungen eingetreten. Wir sind nun nicht mehr länger Heimwerker des Glaubens. Wir dürfen seit heute, dem 10. Mai 2020, die Kirche wieder als sozialen Kontaktort erfahren und den Gemeinschaftssinn wieder spüren. Das ehrenamtliche Engagement muss nicht mehr in allen Bereichen ruhen. So können Viele wieder auch die Gesellschaft in den Blick nehmen. Und an deren Optimierung mitwirken. Wir erleben auch wieder unsere Gestaltungsmöglichkeiten und –freiheiten. Wir werden hoffentlich unser Leben selbstbewusst und eigenverantwortet entschleunigen und  Vieles vielleicht noch entschiedener Gott in die Hand legen. 

„Singet dem Herrn ein neues Lied!“ So beginnt der Psalm am heutigen Sonntag Kantate. Singet! Heute, unter gegebenen Hygienemaßnahmen, singt die Schola statt der Gemeinde. Wir singen mit dem Herzen mit! Vor Freude über die Öffnung der Gottesdienste für 70 Personen. Eine Freude, dass dieses in diesen Zeiten überhaupt wieder möglich ist. So feiern wir dankbar. Wir lassen die Melodien der Choräle und ihre glaubensstarken Strophen weiter in uns leben. 

Doch weiterhin gilt, es könnte auch wieder anders werden. Weiterhin gilt, sorgsam füreinander da zu sein und aufeinander und auf sich selbst acht zu geben.

Ich wünsche uns allen, besonders für dieses Ausnahmefrühjahr, Demut und Besonnenheit sowie ein fröhliches Herz und Hoffnung! Und heute die Freude über die Möglichkeit, wieder Gottesdienste in der Kirche feiern zu dürfen! Singet im Herzen!

Ihre Pfarrerin Gita Leber

Flor Peeters, 1903–1986 „Lied an die Sonne“ op. 66
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen