Zuneigung und Verlassenheit im Leiden
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Palmsonntag: Jesus zieht auf einem Esel reitend in Jerusalem ein, seine Jünger und Anhänger*innen begleiten ihn. Am Straßenrand stehen die Menschen, legen ihre Kleider und Palmzweige auf die Straße, rufen Hosianna.
Palmsonntag 2020: Jesus reitet allein auf einem Esel in Jerusalem ein, niemand begleitet ihn, keiner steht am Straßenrand. Polizisten kontrollieren, ob Jesus eine Dienstbescheinigung hat, die ihn als systemrelevanten Bediensteten ausweist. Aber ist der Sohn Gottes heute überhaupt systemrelevant, brauchen die Leute, brauchen wir ihn?
Jesus war an Palmsonntag umgeben von seinen Freund*innen. Dicht gedrängt saßen sie am Abend zusammen – bis zu seiner Verhaftung. Dann stand Jesus allein vor den Hohepriestern, vor Pontius Pilatus, musste allein sein Kreuz tragen – bis er zusammenbrach.
Einen der letzten Momente körperlicher Zuneigung erlebte er am Tag vor seiner Verhaftung. Das Markusevangelium im 14. Kapitel berichtet davon: Da ist diese Frau: sie kommt in das Haus und zerbricht ein Glas mit dem kostbaren Nardenöl und gießt es auf das Haupt von Jesus. Ein Skandal. Was hätte man mit dem Geld nicht alles viel Sinnvolleres machen können. Jesus gebietet Einhalt. „Sie hat ein gutes Werk an mir getan.“
Eine Frau, die Jesus die letzte Zuneigung und Ehre erweist. Wenn ich die Berichte aus Spanien und Italien lese, graust mir: kein Besuch im Krankenhaus, keine Hand, die Sterbende hält, keine Krankensalbung, noch nicht einmal eine angemessene Beerdigung. Soldaten finden Sterbende und Tote in Seniorenheimen, vor der Kapelle segnet ein Priester vorbeifahrende Leichenwagen, kein Abschied, keine Berührung. Wo ist heute die Frau, die sich über die Regeln hinwegsetzt und Menschen salbt, Menschen segnet?
Im Fehlen der Zuneigung angesichts des Leidens ist die Gottferne, die Jesus am Kreuz erlebte, schon vorweggenommen. Ist da die Hand Gottes, die uns auffängt? Ich hoffe auf die unerwartete Zuneigung, die auch heute geschieht – trotz der eigenen Angst. Und ich hoffe auf Gott, der sich nicht verborgen hält, sondern sich erbarmt und dem wir sagen können: Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist (Lukas 23, 46). Gott ist systemrelevant auch heute, gerade heute. Weil ich hoffe und gewiss bin, dass Gottes Hand mich auffängt und mir und allen Menschen die Zuneigung wieder gibt, die ich vielleicht hier auf Erden nicht bekommen konnte, als ich sie so bitter gebraucht hätte.
Bleiben Sie behütet, Ihr Pfr. Olaf Lewerenz
hier können Sie die ausführliche Predigt lesen