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Impuls zum 4. Sonntag nach Trinitatis

Pfarrerin Dr. Gita Leber

St. Katharinengemeinde
Frankfurt am Main

Joahnn Sebastian Bach, 1685-1750
„Fantasia C-Dur BWV 570“
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen
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4. Sonntag nach Trinitatis am 5. Juli 2020  St. Katharinen Frankfurt am MainPredigtext: Röm 12, 17-21 (II)

17 Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. 18 Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. 19 Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5.Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«20 Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, so gib ihm zu essen; dürstet ihn, so gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« (Sprüche 25,21-22).21 Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Diese wunderbaren Texte haben alle ihre tiefe Lebensweisheit.

Nur so können wir leben. Nur so erreichen wir das Glück, die Zufriedenheit; eine bleibende Gerechtigkeit, die Lebensfreude, das Lachen, die Hoffnung. Wir brauchen den Frieden. „Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein!“ Im Text steht: „Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden! Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes;“ Ja, man kann offensichtlich nicht ruhig dasitzen und darauf warten, dass der Frieden vom Himmel fällt. Der Frieden muss gesucht und entdeckt und gemacht werden. Man muss aktiv sein, an sich arbeiten, immer wieder neu den ersten Schritt gehen und immer wieder gesprächsbereit sein und bleiben.

Wodurch entsteht Krieg / Unfriede?

Zwischenmenschlich wissen wir es nur zu gut: wenn einer übervorteilt wird oder wir das glauben; wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen – in Erbschaftsdingen z.B. Oder bei Beförderungen im Arbeitsprozess. Unter Geschwistern gibt es oft Streit und Neid, weil einer denkt, die Eltern hätten die andere lieber oder sie würde besser bei allem wegkommen. In jeder Situation, in der wir uns zurückgesetzt fühlen, weniger geliebt, weniger geachtet; wenn wir glauben, zu kurz zu kommen. Das gilt auch zwischen Gruppen und Nationen.

Weltpolitisch schauen wir es uns in den Medien täglich an: Aggressionen, Drohungen, Abschreckungen, Handelskriege, Hochrüstung, Atomwaffen, Bomben auf unschuldige Kinder und die gesamte Zivilbevölkerung, auf Hilfsorganisationen, Hass, Rassismus. Und immer, weil eine Seite glaubt, sie habe das Recht auf allein auf ihrer Seite.

Was Paulus im Römerbrief hier schriebt, bedeutet sicher nicht: Ich soll diejenigen, die mich tief verletzt haben, zu einem geselligen Beisammensein einladen: den Ehemann, der mich monatelang betrogen und dann nach langer Ehe hat sitzen lassen, die Kollegin, die hinter meinem Rücken ständig intrigiert und gegen mich arbeitet. Die „Liebe zum Feind“, von der hier die Rede ist, meint ja nicht etwa eine innige Beziehung, die ich zu ihm aufbauen soll, sondern den Respekt, dass auch er oder sie ein Geschöpf Gottes ist und dass die Ordnung, in der wir Menschen miteinander leben können, bestimmt sein soll von der Barmherzigkeit Gottes.

Darum, das fordert das Ethos der Feindesliebe, sollen wir uns die Logik der Vergeltung nicht aufzwingen lassen. Diese Logik führt ins Verderben, denn sie überwindet das Böse gerade nicht, sondern steigert es noch. Feindesliebe ist darum etwas sehr Rationales, Lebensdienliches, ein Ethos der kühlen Köpfe, die weiterdenken als bis zum nächsten Vergeltungsschlag.

Feindesliebe – das ist zugleich fundamentale Einseitigkeit. Die Ordnung von Gewalt und Gegengewalt, Verletzung und Vergeltung, Unrecht und Rache wird konsequent durchbrochen. Bösem wird nicht mit Bösem begegnet, sondern es soll durch das Gute überwunden werden.

Feindesliebe ist nicht etwa ein Ethos für die, die sich in alles fügen, weil man ja sowieso nichts ändern kann. Feindesliebe ist aktives Eintreten für die Änderung der bestehenden Verhältnisse von Mächtigen und Unterlegenen, Gewalttätigen und Unterdrückten, Gewinnern und Verlierern. „Unter euch soll es nicht so sein“ lautet die Anweisung Jesu für die Gemeinschaft der Seinen. „Wer unter euch etwas gelten will, der sei der Diener aller.“ Diese Ordnung soll die Gemeinschaft Jesu vorleben. Und wenn ihnen begegnet wird mit Gewalt und Unterdrückung, dann sollen sie das nicht etwa einfach hinnehmen und sich in ihr Schicksal fügen. Sie sollen vielmehr durch paradoxe Verdopplung des Unrechts, das ihnen zugefügt wird, die Absurdität einer Ordnung vor Augen führen.

Aber wir machen doch die Erfahrung, dass es gut tun kann, wenn man bei einer Freundin oder einem Freund sich mal vollkommen gehen lassen kann und fluchen und lästern und wüten darf über seine Situation. Verdrängen wir unsere Wut und Zorn oder auch unsere Rachegefühle, dann werden wir depressiv und krank. Lassen wir ihnen aber freien Lauf, dann richten wir noch größeres Unheil an. In diesem Dilemma stecken wir.

Mir ist es heute wichtig, dass wir alle unsere unliebsamen Gefühle als wichtige Gefühle anerkennen. Denn vom Frieden und der Friedfertigkeit und der Liebe reden wir so selbstverständlich.

„Mein ist die Rache, spricht der Herr! – Ich will vergelten.“, schreibt Paulus im Römerbrief 12, 19b. Das ist ein Weg.  Die Rachsüchtigkeit Gott abzugeben. Ohne die Gerechtigkeit aufzugeben. Weiter für Gerechtigkeit eintreten. Aber die wuchtigen Gefühle an Gott abzugeben.

Denken wir an Karfreitag. Wir haben ja das Kreuz Christi ständig hier vor Augen.

Darin liegt die Erlösung: dass Gott / dass Christus auf der Seite der Opfer steht. ER selbst wurde Opfer. Auch darin liegt die Erlösung: dass sich Menschen um uns kümmern, wenn wir Opfer geworden sind oder uns wie das Opfer von Ungerechtigkeit empfinden.

Wenn es um schlimme Leiderfahrungen geht, treten Menschen für uns ein und wir für andere. Wer Hilfe erlebt, nachdem er Opfer geworden ist, wirkliche Hilfe und Fürsorge und Annahme, der wird bereit(er) zur Vergebung. Zunächst gilt es, ein Ohr zu haben für die Opfer. Sie wollen klagen und anklagen: geschehenes Unrecht aufzeigen! Missbrauchsopfer! Opfer von Diskriminierung und anderer Gewalt! Arme!  Wenn die Menschlichkeit wieder in Balance kommen soll, braut es das Gehört- und Gesehen –Werden . Wenn ein Ausgleich geschehen ist in den Gefühlen und dem Materiellen z.T. auch, dann kann Versöhnung sich den Weg bahnen. Auch wenn Vieles nicht wieder gut zu machen ist, wird es helfen, die Rachegedanken zu mildern; das erfahrene Unrecht nicht mit gleichem vergelten zu wollen.

Wir dürfen aber den Unfrieden in uns, wenn wir Opfer geworden sind – auch von Krankheiten und seelischem Leid – nicht gleich dämpfen oder als ungehörig abtun. Gott ist auf der Seite der Opfer. Deshalb sollen auch wir als Opfer Hilfe erfahren und Menschen, die Opfer geworden sind, unsere Hilfe anbieten.

Wir sind zum Mit-Leiden berufen. Wo Menschen leiden, sollen wir kommen und da sein. Gott ist auf der Seite der Leidenden, nicht der Sieger. Er ist auf der Seite derer, die Niederlagen erleben und Leid erfahren. Da ist auch unser Platz.

Gott kennt uns, denn er hat uns ja geschaffen – mit all unseren Gefühlen. Paulus will mit seinen Worten an etwas erinnern: Er will mahnen, dass der Unfriede nicht eskaliert; er will Mut machen – vielleicht hofft er, dass er etwas bewirkt bei allen, die Böses tun und bei allen, die Böses vergelten wollen. Er will, dass die einen getröstet werden und die anderen sich ändern.

„Lebt als Kinder des Lichts“ – heißt es im Epheserbrief. Im Licht leben heißt: dem Frieden nachjagen, demütig sein, mit-leidend, geschwisterlich, fürsorgend, vergebungsbereit und -fähig.

Frieden ist gelingendes gemeinsames Leben: ein Leben, in dem man sich in aller Unterschiedlichkeit ernst nimmt, in dem man die Schwächen des anderen nicht ignoriert, aber erträgt, in dem man auch die Schattenseiten des anderen sehr wohl zur Kenntnis nimmt, aber doch davon ablässt, das Böse nur im Gegner und im Gegner nur das Böse zu sehen. Und die Einsicht, dass es in Kränkungssituationen, in denen wir uns ungerecht behandelt fühlen, nicht wirklich einen gerechten Ausgleich geben wird. Diesen Mangel an Gerechtigkeit ertragen lernen – das ist nicht einfach. Es braucht Mut und ein großes Selbstwertgefühl.

Das alles in sich hinzubekommen,  geht auch nicht schnell. Es braucht Zeit. Wir müssen das lernen. Allmählich. Es braucht nach jeder Kränkung durch Menschen oder Schicksale: Zeit. Manchmal hilft auch – so nenne ich das: ein „Waffenstillstand“  – ein Abstand, eine Zeit, in der man sich gegenseitig in Ruhe lässt und einander nicht begegnet  – um irgendwann den ersten Schritt aufeinander zu machen zu können.

Unser Gewissen als Christen und die Disziplin, die Selbstbegrenzung und die Selbstbeherrschung, die Vernunft und die Nächsten- (ich nenne es mal die Nächstenverantwortung) sowie Empathie –Einfühlungsvermögen in den Gegner, in seinen Standpunkt – müssen vorausgehen und sind Bedingungen für den Frieden zwischen Einzelnen und zwischen Gruppen und Völkern.

Wir tragen Verantwortung für den Frieden. Frieden ist der Maßstab für all unser Handeln. Damit wir gut leben können auf dieser Erde, deshalb gibt es diese wundervollen Texte der Bibel und deren ganze gesammelte Lebensweisheit als Weisung Gottes. Amen.

Max Reger, 1873–1916
„Ach, bleib’ mit deiner Gande“ Choralvorspiel op. 67, Nr. 9
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen