Impuls zum 7. Sonntag nach Trinitatis

Pfarrerin Dr. Gita Leber

St. Katharinengemeinde
Frankfurt am Main

Johann Sebastian Bach, 1685–1750 „Liebster Jesu, wir sind hier“
Choralvorspiel und Choral BWV 730 + 731
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen
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7. Sonntag nach Trinitatis am 26. 7. 2020  St. Katharinenkirche

Predigttext: Hebräer 13,1-3 (II)

Liebe Gemeinde!

1. Die Apostel auf Missionsreise. Menschen haben ihnen vertraut, haben Sympathie entwickelt und öffneten ihre Häuser oder Räume für die Apostel. Räume zum Schlafen, zum gemeinsamen Essen, für Gemeinschaft, zum Erzählen… Empfangen und Teilen. Das Urchristentum lebte von Gastlichkeit, Gastfreundschaft, vom Beherbergen von Fremden.

Daran sollen die Gemeinden immer wieder erinnert werden. So auch im Schlussteil des Hebäerbriefs. Er gibt Impuls und Ansporn zum Teilen. Da wird motiviert zur Liebe! Und es wird motiviert,  sein Leben persönlich zu heiligen: die Heiligung des Lebens. Das geschieht in einem Ethos der Empathie, einem Einfühlen in den Anderen – hier werden aufgeführt: die Gefangenen.

Daraus entsteht eine Haltung des Wohlwollens, dass man seine Türen für Gäste öffnet, sich selbst als offener Mensch mit einem geöffneten Herzen zeigt. Letztlich ist das ein Sich-Öffnen für Gott.

2. Diese Haltung hat eine maßgebliche Begründung. Sie liegt darin, dass uns alles, was wir haben, GEGEBEN ist. Zuerst sind wir Empfangende. Der Raum [unser persönlicher Lebensraum ]ist eine Gabe (Barthes) und damit ist „Platz als Geschenk“ zu begreifen. Gott gibt uns Raum hier auf Erden. Raum zum Gestalten. Raum für das Ethos der Empathie und der Gastfreundschaft. Damit geben wir das nur weiter, was wir selbst einst von Gott empfangen haben. Ein heiliger Raum, ein Ort der Gottesgegenwart, ist also nicht zuerst ein Raum, den man baut, sondern wird von der Gastlichkeit her gedacht. Gott spiegelt sich in der Gastfreundschaft.

Erstaunlicherweise beginnt die Genesis, das 1.Buch Mose, der Anfang unserer Bibel, mit dem Schöpfungsbericht. Es würde doch reichen, wenn im Judentum und im Christentum mit dem NT allein die Gebote Gottes überliefert wären. Wieso muss der Mensch wissen, dass die Erde geschaffen wurde? ER muss es wissen, (so folgert Lévinas) weil sich der Mensch erst dadurch bewusst wird, dass die Erde ihm GEGEBEN wurde. Ohne dieses Wissen würde der Mensch den Raum nur unrechtmäßig durch Besetzung besitzen. Es gibt kein natürliches Eigentumsrecht an der Erde, so sagt es die Schöpfungserzählung. Sondern die Orte, die bewohnt werden, sind dem Menschen bereits gewährt worden. Wir sind Empfangende und infolge dessen sind wir fähig, diesen Raum anderen Menschen mit der Geste der Gastlichkeit anzubieten. Wir selbst sind Gast auf Erden.

3. Gastfreundlich zu sein für die Menschen.
Der Raum der Religion, also die Gottesbegegnung, gewinnt Realität in dem Empfang, den man einem anderen Menschen bereitet und durch den man ihm Raum gibt. So kann sich Religion auch in unserem Zuhause – oder auch in unserem Land – ereignen, wo wir Menschen gastlich aufnehmen. Der Hebräerbrief mahnt eine Ethik der Gastlichkeit an. Die „Gegenwart Gottes“ zeigt sich „in der Beziehung zum Menschen“. (Levinas: „Eine Religion für Erwachsene“). Der Hebräerbrief verweist auf beherbergte „Engel“. Die Beherbergten könnten Engel gewesen sein. Das heißt: Gastfreundschaft ist eine religiöse Ausdrucksform; ist die Darstellung einer Heiligkeitserfahrung mit den Mitteln des Bewirtens und miteinander Sprechens. Es kommt aber auch darauf an, dass sich die Gäste als solche qualifizieren – so als seien sie „Engel“.

4. Gastfreundlich zu sein für Gott. Gott Raum geben. Gott Raum einräumen.
Der 1. Korintherbrief 3 hält die Vorstellung bereit: Unser Leib sei der Tempel, wo Gottes Geist wohnt.
Vielleicht können wir so beten: „Jesus Christus, ich kann die Tür zum Leben bei dir nicht selbst öffnen. Nicht durch noch so gute Taten. Ich bleibe doch ein fehlbarer Mensch mit all meinen Widersprüchen und Herzlosigkeiten, unbedachten und durchdachten. Doch ich kann die Tür meines Herzens dir öffnen und dich einlassen. Deshalb öffne ich die Tür meines Herzens in aller Gastlichkeit für dich: damit ich durch dich in das verborgene Bild verwandelt werde, das Gott von mir entworfen hat; damit ich, damit wir alle Kinder Gottes werden.“ Christus wird die Einladung annehmen. Er wird sagen: „Ich liebe dich.“

5. Gott beherbergt uns. Unser Leben ist ein Weg zu Gott. Das Johannes-Evangelium beschreibt die Vorstellung, dass Gottes Haus viele Räume hat.

Der Hebräerbrief enthält auch diesen Gedanken: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Wir sind nur Gast auf Erden. Dieses Leben ist nach dem Hebräerbrief keine Irrfahrt, sondern ein Heimweg. Gott ist der Hausherr und öffnet uns in Gastlichkeit die Tür zum Leben.

6. Gedanklicher Ausflug zum Wohnen:
Ein Refugium haben – einen Rückzugsraum! Das ist ein Traum für jeden in einer gemeinschaftlichen Wohnung. Vielleicht ist es auch der Grund, weshalb so viele Menschen als Single wohnen. Auch jetzt die Urlaubszeit ist ein zeitlicher Raum, in dem Erholung geschehen kann durch einen Rückzugsraum, der frei ist von Arbeit und Stress.  Einen Raum für sich haben – ist wundervoll. Den wünschen sich Geschwister, wenn sie, solange sie klein waren, ein gemeinsames Zimmer hatten. Oft ziehen auch Paare aus dem gemeinsamen Schlafzimmer, jeder in ein anderes, ganz im Frieden und in Liebe.

[[Es gibt im orthodoxen Mönchtum die Lebensform der Idiorrhythmie. Es ist eine Lebensform für sich zu leben und nur in den Gottesdiensten, wer möchte, Gemeinschaft zu haben. Diese Lebensform dient zum Muster für die Erhaltung der Unabhängigkeit des Subjekts in der Gemeinschaftlichkeit der Gruppe.]]

Warum komme ich darauf?

Ich biete einem Gast Raum. Und schon erhebt sich die Frage: Wie lange? „Es ist schön, wenn die Verwandten kommen – aber es ist auch schön, wenn sie wieder gehen.“ So ist doch unsere Erfahrung. „Wie zusammen leben?“: das ist die entscheidende Frage. Hilfreiche Einsichten bietet meines Erachtens Roland Barthes in gleichnamigem Buch, einer Vorlesungsreihe. Er meint, dass die Wechselfälle des Zusammenlebens nur über den Entwurf einer „Ethik der Distanz“ zu regeln ist. Denn „zweifellos liegt hier das Hauptproblem des Zusammenlebens: die kritische Distanz zu finden und zu regeln, die wenn sie unter- oder überschritten wird, eine Krise hervorruft.“

Gastlichkeit, Gastfreundschaft braucht, wenn sie lange währen soll, den Raum der Diskretion und der guten Distanz als eine ihrer Grundbedingungen.

7. Gott wohnt auch in den Kirchen. Die Kontaktbeschränkungen haben uns für eine bestimmte Zeit vereinzelt. Die christliche Gemeinde und der Glaube, die Religion braucht aber die Gemeinschaft. Das Göttliche, ein Raum für die Gottesbegegnung oder Gotteserfahrung drückt sich aus in der dem Anderen gewährten Gastlichkeit (Lévinas). Und wieder in der angehmen Nähe, also der auf ein richtiges Maß verkürzten Distanz zueinander.

Hier, unsere Kirche, ist ein architektonischer Raum der Gastlichkeit: hier steht sinnenfällig ein Tisch fürs gemeinsame Essen; hier der Raum zum Erzählen über Gott und Christus, ein Raum mit vielen Plätzen für Gemeinschaft.

8. Schluss: Gott will hier wohnen. Gott will in unseren Zuhauses wohnen. Gott will in unseren Herzen, unseren Leibern, wohnen. Wenn wir Christus in unser Leben in aller Gastlichkeit hineinlassen , dann werden wir uns in Gastfreundschaft auch mit den Menschen verbunden fühlen: eine Haltung der Empathie einnehmen, mitfühlen mit allen Menschen, in denen doch die selbe Sehnsucht nach dem Leben wach ist wie in uns. Christus will in unseren Herzen wohnen. Dazu gehört dann auch, dass wir unser Inneres aufräumen und uns empfangsbereit machen; ein gastfreundliches Gemüt entwickeln. Und die Tür bei Gott wird uns offen stehen.

Der Friede Gottes, der höher ist, als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christo Jesu.
Amen.

Johann Sebastian Bach, 1685–1750 Präludium C-Dur C-Dur BWV 547
Prof. Martin Lücker an der Riegerorgel in St. Katharinen