Impuls zum 8. Sonntag nach Trinitatis

Dr. Olaf Lewerenz

Dr. Olaf Lewerenz

Stadtkirchenpfarrer
an St. Katharinen

Jean-Joseph Mouret, 1682–1738 Fanfare D-Dur
Matthias Kowalczyk, Trompete; Martin Lücker, Orgel
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Krankheit und Schuld sind zwei Paar Schuhe

1 Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. 2 Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist? 3 Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm. (Joh. 9)

Dass Krankheit die Folge von Sünde ist, das ist zur Zeit Jesu gängige Meinung. Und nicht nur damals, noch heute spukt dieser vermeintliche Tun-Ergehens-Zusammenhang in unseren Köpfen: Vor ca. 35 Jahren kam es nicht selten vor, dass Christ*innen über AIDS-Kranke sagten: „Das ist Gottes Rache für deren sündiges Leben!“ Erst langsam und auch mit Hilfe des Textes aus Johannes 9 haben die Kirchen dazugelernt: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern.

Doch tief in uns scheint dieser Tun-Ergehens-Zusammenhang verankert zu sein: mir geschieht etwas, weil ich schlecht war. Ich muss bitter büßen, dass ich… (Und dabei geht es nicht unbedingt um jahrelanges Rauchen und Lungenkrebs, wo es ja schon einen Zusammenhang gibt.) Behinderung, Leid, Krankheit, Arbeitslosigkeit… werden betrachtet als Folge, weil ich schlecht gelebt habe und Gott mich bestrafen will.

Dabei hat in der Bibel schon Hiob diesen Zusammenhang auseinandergerissen: wer gut, fromm, untadelig lebt, dem ergeht es nicht unbedingt gut. Und umgekehrt hat ein rücksichtsloses Leben nicht unbedingt Krankheit und Strafe zur Folge. Krankheit und Armut sind nicht eine Sünde und nicht die Folge einer Sünde!

Wie soll denn überhaupt ein Blindgeborener gesündigt haben? Wenn, dann könnten es ja wohl nur seine Eltern gewesen sein, aber auch das verwirft Jesus. Diesen Zusammenhang gibt es nicht. Punkt, Diskussion zu Ende.

Auch Corona ist weder Folge individueller Sünde noch ein Wink Gottes wegen der Zerstörung unserer Umwelt, deshalb bestraft uns Gott. Einen solch einfachen Mechanismus gibt es nicht!

Natürlich kann eine Krankheit wie AIDS oder Corona Anlass sein, neu über uns und unsere Gesellschaft nachzudenken: wie gehen wir mit unseren Mitgeschöpfen um, wie ist unsere Wirtschaft weltweit verstrickt, wer muss unter welchen Bedingungen leben? Auch: wem kann ich wie helfen, wie kann in einer Krise Gemeinschaft gelebt werden? Welche Folgen hat die immer größere Zerstörung von Lebensräumen usw.? Aber das sind ethische Fragen, die sich anlässlich einer Krankheit oder anderen Ereignissen stellen.

Die AIDS-Epidemie hat damals in den 80er und 90er Jahren innerhalb der Betroffenen und deren Freund*innen und Angehörigen sehr viel Engagement freigesetzt. Viele Kirchengemeinden in aller Welt kümmern sich seit der Zeit um die AIDS-Kranken in ihrem Umfeld. Und in unserer Kirche hat diese Krankheit zum Umdenken geführt, was die Themen Homosexualität, Drogengebrauch, Prostitution betrifft. Leider gilt das aber nicht weltweit, noch nicht einmal in ganz Europa.

Umgang mit Krankheit oder mit Menschen mit Behinderung kann ein Umdenken bei mir oder in der Gesellschaft bewirken, aber eine Einteilung in Schuldige – Unschuldige, Gute und Schlechte, die verwirft Jesus.

Ihr Pfr. Dr. Olaf Lewerenz

Die Predigt zum 8. Sonntag nach Trinitatis lesen Sie hier

Jean Langlais 1907 – 1991, „Lobe den Herren”
Matthias Kowalczyk, Trompete; Martin Lücker, Orgel

Evangelisch-lutherische St. Katharinengemeinde